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LABOR ATELIERGEMEINSCHAFT : Kontrolliertes Chaos
Bands gibt es ja wie Sand am Meer. Kreative Köpfe, die ihre Fertigkeiten und individuellen Ideen zunächst untereinander vorstellen und tunen, daraus dann gemeinsam so lange etwas kneten, bis es irgendwann so gut ist, dass man es gar nicht mehr abwarten kann, es endlich der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Künstlerkollektive gibt es zwar längst nicht so viele, ihre Vorgehensweise ist aber nahezu identisch. Und wäre das in Frankfurt am Main beheimatete Kollektiv Labor Ateliergemeinschaft eine Band, würde sie garantiert Punk spielen, diesen jedoch hochversiert.
Da wird mal lässig drauflos geschrammelt, einfach, weil es fetzt, dann wieder ein fachkundiger Ausfallschritt in unerwartetes Terrain gewagt, einfach weil man es kann. Und über allem schwebt ein zarter Hauch von zivilem Ungehorsam, nicht um des bloßen Aneckens willen, sondern weil man manchmal halt nur so die Welt noch farbenfroher und diverser gestalten kann.
Die Labor Ateliergemeinschaft besteht aus sechs tollen Menschen - namentlich Anke Kuhl, Natascha Vlahovic, Zuni und Kirsten von Zubinski, Jörg Mühle und Philip Wächter -, die jeder für sich auf ihrem Gebiet bereits’ne Wucht und sehr bekannt sind. Als Kollektiv sind sie dann nahezu unschlagbar, kreative Avengers, die Kinder wie auch Erwachsene in schöner Regelmäßigkeit mit neuen Büchern, Ausstellungen, Workshops und vielen weiteren überbrodelnden Ideen verzaubern und beflügeln. Ihre Kinder Künstler Bücher sind legendär, die tolle Veröffentlichung „Ich so du so“ ein essenzieller Aufruf gegen das Schubladendenken, ihr neuestes Werk „Das wird bestimmt ganz toll!“ ein knallbuntes Sammelsurium an Ideen, das ausnahmsweise mal Lust auf die Zukunft macht.
Zucker & Zitrone hatte die Möglichkeit, Kirsten von Zubinski einige Fragen via Mail zu schicken, um mehr über den Entstehungsprozess ihrer Bücher zu erfahren.
Kirstin, erzähl mir doch bitte zu Beginn gleich mal, wie das mit der Labor Ateliergemeinschaft angefangen hat. Gab’s da einen richtigen Plan oder hat sich das einfach irgendwann ergeben?
Anke fand die Aussicht, nach dem Studium aus dem einsamen Kämmerlein in die Selbstständigkeit zu starten, wenig attraktiv. Nach dem Studium hat sie ganz vielen fremden Menschen, die das Illustrieren zum Beruf gemacht haben, einen Brief geschrieben und gefragt, ob sie mit ihr eine Ateliergemeinschaft in Frankfurt gründen wollen. Philip und Moni hatten direkt Lust. In einem ehemaligen Zahnlabor waren schnell schöne und günstige Räume gefunden. Da gab es so viel Platz, dass über Zeitungsannoncen und Aushänge in Hochschulen weitere Mitmieter zusammengetrommelt wurden. Vernetzen war damals noch eine komplett analoge Angelegenheit.
Kreativen Menschen wird gerne nachgesagt, dass ihr „Ego-Hat“ nicht zwingend der kleinste ist. Wie sieht das bei euch aus? Gibt es innerhalb des Teams viele Diskussionen oder hat die Idee im Endeffekt immer recht?
Unser Ego-Hat ist so groß, da passen wir alle drunter. Klar gibt es auch heftige Diskussionen – aber immer für die Sache.
Wie kommt man eigentlich dazu, Kinder- und Jugendbücher zu konzipieren und umzusetzen? Ist dies das Resultat glücklicher Zufälle oder habt ihr gezielt darauf hingearbeitet?
Unterschiedlich … Philip, Anke und Jörg war von Anfang an klar, dass sie Kinderbücher illustrieren wollen. Andere haben sich anfangs weniger dafür interessiert. Die Labor Ateliergemeinschaft wurde aber mehr und mehr als gute Adresse für Illustration und Kommunikation für Kinder wahrgenommen. Als wir die Gelegenheit bekamen, zusammen ein Buch zu machen, haben wir uns gefreut – die Idee lag schon länger in der Luft. Inzwischen arbeiten wir eigentlich alle, mehr oder weniger und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, sehr gern in diesem Bereich.
Wonach sucht ihr die Themen aus, die ihr dann auf eure unvergleichliche Art und Weise in Buchform präsentiert?
Wir sind ein sehr demokratischer Haufen. Um Themen zu finden, treffen wir uns, reden viel und einigen uns dann. Das klingt leichter, als es ist – bevor wir uns einigen, gibt es leidenschaftliche Debatten und Plädoyers. Am Ende müssen schließlich alle an ein Thema glauben und Lust haben, dafür alles zu geben. Auch der Verlag will überzeugt werden – mit dem kommerziellen Erfolg unserer Bücher haben wir zwar mehr Freiheiten bekommen, aber für „Ich so du so“ mussten wir noch einmal richtig kämpfen.
Die letzten beiden Jahre waren für die Kreativbranche im Besonderen nicht die einfachsten … Gab es viele Projekte, die ihr aufgrund der Pandemie nicht umsetzen konntet? Oder verhielt es sich vielleicht sogar anders herum und die zwangsverordnete Extrazeit im Labor konnte positiv genutzt werden?
Wir hatten alle viel mit Arbeit und Familie zu tun. Für unser neues Buch „Das wird bestimmt ganz toll“ konnten wir uns nicht so oft treffen, wie wir es lieben. Es hat aber trotzdem richtig gut geklappt. Leider sind viele Veranstaltungen und Lesungen ausgefallen – die Abenteuer und Begegnungen da draußen haben uns gefehlt.
Eure Bücher schaffen das Kunststück, nicht allein bei den Kids, sondern gleichermaßen bei deren Eltern, hoch im Kurs zu stehen. Was sind die Filter, die ihr anwendet, bevor ihr ein neues Werk für euch absegnet. Und wie lange dauert durchschnittlich der Prozess von der Ideenfindung bis zur Abgabe?
Um vom Verlag eingetaktet zu werden, brauchen wir recht früh – über ein Jahr vor Veröffentlichung – eine gute Idee, die dann eine Weile ruhen bzw. in uns arbeiten kann. Der intensive Teil der Arbeit und Umsetzung dauert dann etwa 4 Monate. Über unsere Filter haben wir noch nie richtig nachgedacht, aber tatsächlich filtern wir ganz schön hart. Alle Seiten kommen an die Wand und jeder darf seinen Senf dazu geben. Hier wird auch viel gelobt, aber was sich anfühlt, wie eine Schulaufgabe oder als wollte man den Kindern was reindrücken, fliegt raus.
Als Labor Ateliergemeinschaft initiiert ihr ja auch Workshops. Nehmen diese in der Regel Bezug auf eine aktuelle Buchveröffentlichung von euch oder stehen sie thematisch auf eigenen Beinen?
Unsere Workshops entwickeln wir für unsere Bücher. Häufig gibt es eine Auftaktveranstaltung zur Buchmesse oder – wie in diesem Jahr – im Literaturhaus Frankfurt. Mit „Ich so du so“ sind wir inzwischen seit ein paar Jahren unterwegs. Diese Lesungen sind immer aufregend und so unterschiedlich, wie die Kinder, die wir treffen.
Mit Zucker & Zitrone sind wir ja auf der Suche nach dem besten Buch der Welt … Was sollte aus eurer Sicht solch ein Buch erfüllen?
Wenn man es gelesen hat, sollte man das Gefühl haben, dass die Welt größer ist, als sie es vorher war.
Und was halten die Karten für Labor Ateliergemeinschaft in 2022 bereit … An welchen Projekten arbeitet ihr gerade?
Das führt zu Frage 4 – es ist Zeit, ein Thema für das nächste gemeinsame Buch zu finden! Zurzeit arbeiten wir alle an unseren eigenen Jobs und Projekten.
Es sollte normal sein, zu feiern, wenn jemand anders ist als man selbst – es sei denn, diese Person ist ein Arsch.
Wer oder was könnte zwischen den beiden vermitteln?
Zwischen außergewöhnlich und normal? Neugier, Freundlichkeit, Offenheit und der Mut, so zu sein, wie man ist und andere sein zu lassen wie sie sind.
Was hat das Außergewöhnliche dem Normalen voraus und umgekehrt?
Das Außergewöhnliche ist ein Wagnis, in Normalität können wir uns ausruhen.
Und wie kamt ihr überhaupt auf die Idee, über genau dieses Thema ein weiteres, tolles Buch herausbringen zu wollen?
Das war Zunis Idee und uns war schnell klar: Das ist das Buch, von dem wir nicht wussten, dass wir es als Kinder dringend gebraucht hätten!