Bibliothek

Der Junge Morris lebt diesen Winter bei seiner Oma, denn es sind traurige Dinge passiert – welche genau, erfahren wir nicht. Morris’ Oma hat einen kleinen, widerspenstigen Hund, der sich nie kuscheln lässt und ständig ausbüxt. Darum heißt er auch Houdini, wie der berühmte Entfesselungskünstler. Jedesmal wenn Houdini fortgelaufen ist, ist es Morris' Aufgabe, auf den verschneiten Berg zu stapfen und ihn wieder einzufangen. Über diesen Berg aber erzählt man sich schaurige Geschichten.

Bart Moeyaert stellt mit diesem Vorlese-Bilderbuch seine Kunst erneut unter Beweis. Mit einem feinen Gespür für die richtigen Töne erzählt er von einem Jungen auf der Suche. Denn Morris sucht nicht nur Houdini, er sucht auch Halt, Trost und Verbundenheit. Als er auf dem Berg einem fremden Jungen begegnet, der ebenso traurig und einsam ist wie er selbst, hat er Verständnis für den schroffen Kerl. Eine Bande ist kein Vergnügen, findet der Junge. Und meint damit sich und seinen hartherzigen Vater.

Morris' Oma ist ganz und gar nicht hartherzig. Sie kann ihm seine Eltern zwar nicht ersetzen, aber sie weiß, dass sie Morris Halt gibt, indem sie ihm Raum für seine Traurigkeit lässt, seine Gedanken auf schöne Dinge lenkt und ihm mit der Verantwortung für Houdini Ablenkung verschafft. Sie backt lieber Kuchen und hört ihm zu, als zu viele Worte zu machen. Sie meint es gut mit ihm. Ob eine Bande ein Vergnügen ist oder nicht, hängt also von ihren Mitgliedern ab. Morris versucht, dem Jungen etwas vom Trost seiner Oma abzugeben, doch der Junge weist das harsch von sich. Dass Morris sein Herz damit trotzdem berührt hat, wird sich erst später zeigen. Beide Jungen wissen letztlich ganz genau, wer schlechte und wer gute Bandenmitglieder sind, welchen Erwachsenen sie trauen dürfen und welchen besser nicht. Das führt diese raue und doch zarte Geschichte über einen holprigen Berg aus Traurigkeit und Gefahr zu einem birnenkuchenwarmen Ende voller Hoffnung und menschlicher Wärme.

Die Illustrationen von Sebastian van Doninck fügen sich dabei passgenau in den Text von Bart Moeyaert. Beide Kunstformen schaffen eine dichte, poetische Atmosphäre und leben vom Mut, nicht zu viel zu erzählen. Die offenen Stellen lassen Raum für die Fantasie und die eigenen Erfahrungen der Leser*innen. Ein rundum schönes und warmherziges Bilderbuch, das manches Kind sofort noch einmal vorgelesen bekommen will. 

- Mia Grau