Bibliothek

Martin Baltscheit hat schon viele Bilderbücher geschrieben. Vor über 20 Jahren erzählte er „Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte“ und erarbeitete seither eine beeindruckende Liste wunderbarerer Veröffentlichungen. Manche der Bücher illustrierte er selbst, andere nicht. Die Liste seiner Illustrator*innen ist lang und schön. Nun wurde sie durch Thomas Wellmann noch ein bisschen bunter. Wellmann ist genau wie Baltscheit, sowohl Autor als auch Illustrator. Beide Herren kennen sich also aus im Narrativen und im Illustrativen, im Erzählen durch Worte und Bilder. Vielleicht ist ihre Zusammenarbeit deswegen so fluffig und cremig geworden, wie ein gut gerührter Kuchenteig. Keine Klumpen, keine Blasen – eine homogene Masse.

Dicht, bunt, wild, herrlich schräg und bis zum Platzen vollgestopft mit witzigen Details, die man erstmal finden muss: wenn man sich auf Wellmanns Wimmelbild-Farbflash eingelassen hat, kann man Ewigkeiten mit diesem Buch verbringen. Dieser kleine weiße Hund, der am Straßenrand hockt! Die Katze im Hasenpublikum! Der Typ, der die Oma kauft!
Wellmanns Illustrationen sind sicher nicht geeignet, um die Augen zu entspannen. Viele schöne Worte könnte man für dieses Buch finden, die auf den ersten Blick wie eine Beleidigung klingen könnten, aber das Gegenteil meinen: Bekloppt, laut, hyperaktiv, chaotisch, kreischend, durchgeknallt, drüber. Ja, genau: „drüber“ sind die Bilder und „drüber“ ist auch die Geschichte. Und die geht so:
Auf dem Straßentrödel verkaufen zwei Mädchen versehentlich die kleine Schwester. Um einen Ersatz zu erwerben, wird die Oma vertickt, inklusive kleinem Bruder und Katze. Weil die neue Schwester für Streit sorgt, wird schließlich Papa gestiftet und Mama für Selbstabholer an die Straße gestellt. Schließlich wird auch noch Opa verpfändet. Endlich allein ist es erstmal ganz cool, dann aber irgendwann auch langweilig und einsam. Also wird die ganze Bagage zurückgekauft. Dass die zwischenzeitlich neuen Familienmitglieder – wie die viel zu perfekte neue Schwester – dabei auch nicht auf der Strecke bleiben, zeigen die Bilder.

Konsum ist irgendwie Blödsinn und die stinkige Familie will man, wenn man es sich genau überlegt, eigentlich doch gar nicht eintauschen.
Hat man das „drüber“ der Story und der Bilder erklommen, steht man auf einem Berg. Von hier oben sieht alles ganz anders aus. Und irgendwie gar nicht mehr so schlimm. So überrascht und befreit kann man über Familienstreit selten lachen.

Nicht jeder Witz zündet bei den Kindern, manche sind nämlich (freundlicherweise) auch für die Eltern geschrieben.

- Mia Grau