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Manuel hat versucht zu vermitteln. Selin hat versucht sich zu wehren. Knut hat versucht den Fehler zu korrigieren. Philipp hat versucht Hilfe zu holen. Esther hat versucht zu fliehen. Vergeblich.
Eigentlich fängt alles ganz harmlos an: Fünf Jugendliche fahren in ein Haus auf dem Land, um dort fürs Abi zu lernen....
Manuel hat versucht zu vermitteln. Selin hat versucht sich zu wehren. Knut hat versucht den Fehler zu korrigieren. Philipp hat versucht Hilfe zu holen. Esther hat versucht zu fliehen. Vergeblich.
Eigentlich fängt alles ganz harmlos an: Fünf Jugendliche fahren in ein Haus auf dem Land, um dort fürs Abi zu lernen. Auf dem Weg nehmen sie einen jungen Anhalter mit, der ihnen schon bald auf die Nerven geht. Kurzerhand lassen sie ihn an der nächsten Tankstelle stehen, seine Tasche werfen sie später einfach aus dem Fenster. Ein verhängnisvoller Fehler. Denn am nächsten Morgen steht der Anhalter plötzlich vor ihrer Tür – in Begleitung zweier junger Männer. Sie dringen ins Haus ein und fangen an, die Jugendlichen zu tyrannisieren. Ein perfides Spiel um Macht, Gewalt und Angst beginnt … Martin Musers packendes Jugendbuchdebüt, düster und beklemmend!
Fünf Freunde fahren aufs Land, um fürs Abi zu lernen. Die Jugendlichen werden in groben, aber schwungvollen Pinselstrichen treffsicher auf die Seiten geworfen. Ihre unterschiedlichen Charaktere, das wird schnell klar, dienen der Geschichte. Die eine impulsiv, die andere lieb, der eine unsicher, der andere tatkräftig, der nächste abwägend. Was sie...
Fünf Freunde fahren aufs Land, um fürs Abi zu lernen. Die Jugendlichen werden in groben, aber schwungvollen Pinselstrichen treffsicher auf die Seiten geworfen. Ihre unterschiedlichen Charaktere, das wird schnell klar, dienen der Geschichte. Die eine impulsiv, die andere lieb, der eine unsicher, der andere tatkräftig, der nächste abwägend. Was sie eint, ist ihre privilegierte Herkunft. Sie kommen nur zum Teil aus reichem Elternhaus, aber doch alle aus einer mehr oder weniger behüteten Welt, in der sie ohne existenzielle Nöte und Ängste aufgewachsen sind, in der ihnen Bildung und Liebe zuteilwurde. Sie können es sich leisten, moralische Ansprüche an sich und ihre Umwelt zu stellen. Und sie fühlen sich Menschen gegenüber überlegen, die weniger gebildet, weniger geliebt, weniger vom Glück geküsst sind, als sie es selbst sind.
Als diese fünf Freunde auf der Fahrt ins Wochenenddomizil einen Anhalter mitnehmen, der ihnen augenblicklich mit seinen ungeschickten, latent rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen auf die Nerven geht, lassen sie ihn kurzerhand an der Tankstelle stehen. Seinen versehentlich liegen gelassenen Rucksack entsorgen sie aus dem Fenster. Man kann ihr Unbehagen dem Fremden gegenüber durchaus verstehen. Selin und Philip, zwei der Freunde, haben in ihrem Leben einfach schon zu viel Erfahrungen mit Rassismus gemacht, um nachsichtig zu sein. Und auch Knut, Esther und Manuel, die anderen drei, können die dummdreiste Art des Anhalters nicht hinnehmen. Die Bildung und Aufklärung, die sie zeit ihres Lebens genossen haben, steht wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen und dem Fremden – Verständigung oder gar Verständnis scheint unmöglich.
Darum denken sie sich auch nichts weiter bei der Sache und starten vergnügt in ihr Lernwochenende. Als jedoch am nächsten Morgen Liam, der Anhalter, mitsamt seinem Bruder Henk und Arne, einem weiteren Kumpanen, vor der Tür steht, schlägt die Überheblichkeit der Freunde in Verunsicherung um und die Situation gerät rasend schnell außer Kontrolle. Jeder der Fünf versucht, mit den ihm oder ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Situation zu reagieren. Manuel glaubt, es sei das Beste zu schlichten, Knut bemüht sich den Fehler auszubügeln, Selin geht in die Konfrontation, Esther appelliert an die Vernunft, Philip versucht nicht auszufallen. Alles vergebens. Denn die Frage ist nicht nur, warum die drei Fremden das Ferienhaus überfallen haben und was sie sich davon versprechen, sondern auch, ob sie überhaupt bereit sind, das ganze glimpflich ausgehen zu lassen.
Ethik, das Studienthema der Freunde, wird von Henk, dem maskulinen Anführer der Eindringlinge, sofort zum Motto seiner perfiden Dramaturgie auserkoren. War es moralisch vertretbar, den Rucksack aus dem Fenster zu werfen? Müssen die Freunde dafür bestraft werden oder gibt es für sie eine Möglichkeit ihre Schuld zu begleichen? Sind sie nicht per se schuldig, weil es ihnen von Geburt an besser geht, als den benachteiligten Brüdern?
Ohne weitere Umschweife führt das schmale und schnell gelesene Buch in einen immer spannender werdenden Eskalationsstrudel. Dabei wechselt beständig die Perspektive zwischen den fünf Freunden, Henk und dem misanthropischen Nachbarn Herrn Hanika. Es werden gleich mehrere Fragen aufgeworfen, die den Stoff für intensive Diskussionen bieten würden. Doch es passt zur Geschichte, dass sich das Buch nicht lange mit diesen Fragen aufhalten kann: Die Ereignisse überschlagen sich zu sehr, als dass man an irgendeiner Stelle zu Atem kommen könnte. Am Ende hält man das kleine, in rau weiche Pappe gebundene Buch in den Händen und eine Menge Fragen rumoren im Kopf.
Was ist man bereit zu tun, um zu überleben? Wo fängt Verrat an? Ab wann ist Anpassung Unterwerfung? Gibt es das Böse? Muss man Menschen helfen, auch wenn man sie hasst? Ist es richtig oder dumm, den eigenen Kopf hinzuhalten, um andere zu retten? Könnte man mit den Folgen leben, wenn man sich dagegen entscheidet? Oder umgekehrt: Ist es besser, einen Einzelnen zu opfern, um eine ganze Gruppe zu retten? Sind Moral und Gerechtigkeit nur etwas für die Verwöhnten? Hört Liebe auf, wenn es ums Überleben geht? Sind wir alle nur Produkte unserer Lebensumstände und so etwas wie ein freier Wille existiert gar nicht? Und: Wenn man von Menschen erwartet, respektvoll und achtsam zu sein, ohne deren Lebenserfahrungen mitzudenken, ist man dann nicht selbst respektlos und unachtsam?
Martin Muser hat seinem, wie am Reißbrett entworfenen, cleveren Roman ein Nachwort angehängt, das man mitlesen sollte. Die Versuchsanordnung, die diese Geschichte zu sein scheint, ist genau als solche gedacht. Die Frage nach einer existenziellen Angst, die er noch nie fühlen musste, die er aber mehr als alles andere fürchtet, hat Muser angetrieben, „WEIL.“ zu schreiben. Dass er am Ende keine abschließenden Antworten parat hat, bietet für die Leser*innen die Möglichkeit, sich eigenständig, oder im besten Falle im Gespräch, mit diesen elementaren Fragen auseinander zu setzten. Eine ungeheuer anregende Basis hat Muser dafür geliefert. Zur Beruhigung kann man erwähnen, dass niemand Angst vor Alpträumen haben muss. Dass „WEIL.“ mit einem Zitat aus „Funny Games“ beginnt, ist zwar naheliegend, doch Musers Abhandlung ist altersgerechter und verdaulicher als der filmische Verwandte.
- Mia Grau
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