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Feature

ANNIKA ZUSKE : Das Gespenst in der Standuhr

Von Christoph Kalbitzer

Kürzlich haben wir vom THEO-Schreibwettbewerb berichtet und aufgerufen mitzumachen. Bis zum 15. Januar könnt ihr Kurz- geschichten, Gedankenschnipsel und Gedichte zum Thema "Müll" einreichen. Damit ihr einen Eindruck bekommt, stellen wir Euch drei Gewinner*innen und ihre Texte vor, die im April des letzten Jahres für ihre Beiträge zum Thema "Gespenster" prämiert wurden. Den Anfang haben wir vor ein paar Tagen mit Agony Montasser und seinem actiongeladenen Gedicht "Terrassenmassakerkinder versus Zelebrators" gemacht. Die siebzehnjährige Annika Zuske überzeugte die Jury mit dem ersten Kapitel des Manuskriptes ihres

Fantasyromans "Das Gespenst in der Standuhr". Die in Hildesheim lebende Schülerin hatte bereits einige ihrer Texte auf der Autorenplattform Belletristica veröffentlicht. Zucker & Zitrone beeindruckte sie bei einem Gespräch im November des vergangenen Jahres mit ihrem umtriebigen Wesen. Sie singt in einer Schulband und interessiert sich für Musik, Politik und Wing-Chun. Ihren Fantasyroman hat sie inzwischen vollendet, verriet sie uns und erzählte, dass sie sich schon Geschichten ausgedacht hat, bevor sie in die Schule kam. Seitdem sie schreiben kann, entwickelt sie ihre Ideen schriftlich.

"In der siebten Klasse habe ich begonnen, mich mit dem Schreiben ernsthaft auseinanderzusetzen. Eine Zeit lang war es ein Ventil, weil ich in der Schule frustriert war. Es macht mir unglaublich Spaß, Geschichten zu erfinden. Mir ist wichtig, Menschen zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen." 
Kein Wunder, dass Annika Zuske das Schreiben zu ihrem Beruf machen möchte. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass ihr das gelingen wird und sie ihren Weg als Autorin mit viel Verve gehen wird .

 

Das Gespenst in der Standuhr 
Annika Zuske, 17 Jahre

Emilia Funkelduster hatte ein Problem. Keines dieser Alltagsprobleme. Es hatte weder mit ihrem molligen Kater Maunz noch mit ihren Hexen- künsten zu tun. Leider ließ es sich damit aber auch nicht lösen. Das Problem war nämlich mies gelaunt, hatte gelbe Augen und steckte seit drei Stunden in ihrer großen Standuhr. 
Mit ungeduldigen Fingern fuhr sich die Junghexe durch ihren Lockenschopf. Kurz nach Mitternacht war sie aus ihren Studien aufgeschreckt, weil unten in der Eingangshalle des Anwesens etwas geklirrt hatte. Natürlich war sie nachsehen gegangen; Maunz, aufgeplustert wie ein orangerotes Daunenkissen, auf leisen Pfoten hinter ihr. 
Die Eingangshalle des Anwesens war immer hell erleuchtet. An der Decke hing ein großer Kronleuchter und in genau diesem Kronleuchter hatte sich jemand verheddert, der vergeblich versuchte, sich aus dem klingenden Glas zu befreien. 
»Wir hatten seit Jahren kein Gespenst mehr hier«, murmelte Emilia. »Ich hatte schon angefangen daran zu zweifeln, dass es noch welche in dieser Gegend gibt!« 
»Und das hast du davon«, murrte Maunz und ließ sich auf ihren Papieren nieder. Das Kaminfeuer ließ Schatten über sein Fell huschen. »Musstest den Geist in deine Uhr sperren, weil er im Kronleuchter zu viel Lärm gemacht hat. Sei froh, dass der Kronleuchter aus echtem Glas ist, sonst schaute es hier vielleicht ganz anders aus.« »Alter Schwarzseher.« Emilia streckte den Arm aus und begann ihrem Gefähr- ten das weiche Fell zwischen den Ohren zu kraulen. 
Geschliffenes Glas und Uhrwerke. Das waren die einzig bekannten Mittel gegen Geister und Gespenster jeglicher Art. Bannte man sie nicht, konnte das schwerwiegende Folgen haben. Während ein ge- wöhnlicher Poltergeist nur geringe Schäden und vor allem Lärm verursachte, war ein Meckerge- spenst in der Lage, jeden in den Wahnsinn zu treiben, mal abgesehen von Katzen, und die waren ohnehin nicht wie andere Tiere oder gar Menschen. Noch schlimmer als ein Meckergespenst war der Balkengeist, denn er fraß vorzugsweise das Holz alter Häuser, was oft deren Einsturz zur Folge hatte. Natürlich gab es noch hunderte anderer Geistersorten, und sie zu klassifizieren war ein Fach für sich. 
Emilia wusste nur eins: die Standuhr war keine Lösung. 
RUMMS, machte es im Nebenzimmer. 
Fauchend sprang Maunz auf, wischte dabei mit seinem buschigen Schweif über die Kerze und stieß einen Kelch mit Mäusezähnen um. Sein Inhalt verteilte sich rasselnd auf dem Boden. »Pass doch auf!«, schimpfte die Junghexe, griff nach dem protestierenden Kater und klemmte ihn sich unter den Arm, um dem Geräusch nachzugehen. 
 
Sie öffnete die Tür langsam. Die Schwelle knarrte, als sie darauf trat. Maunz zappelte. Im Halbdunkel des Zimmers erkannte die Hexe, dass die manns- hohe Wanduhr umgekippt war und nun mit der Rückseite nach unten lag. Durch das Glas konnte sie eine schimmernde Nebelgestalt erkennen. Gelbe 
Augen stierten aus der Dunkelheit.
»Der Geist ist glaube ich gewachsen«, hauchte Maunz. »Quatsch. Du weißt genauso gut wie ich, dass die Uhr ihn in seinen Verwandlungen lähmt«, entgegnete Emilia. Ein bisschen mulmig war ihr schon, aber das musste der Kater ja nicht wissen. 
»Wir sollten möglichst bald die Geisterbehörden informieren.« Unruhig fuhr Maunz seine Krallen aus und wieder ein. »Jetzt beruhige dich mal.« Emilia setzte ihn auf den Boden und rieb sich die juckende Nase. In manchen Räumen des Hauses konnte der Staub einfach nicht mehr entfernt wer- den. Er war Teil des Zimmers. »Weißt du, die Sache mit der Geisterbehörde gefällt mir nicht«, brummte sie. Die gelben Augen glommen im Dämmerlicht, als würden sie sie verstehen. Maunz zuckte schnippisch mit einem Ohr. »Warum?« 
»Weil niemand weiß, was sie mit den Gespenstern machen.« 
»Ach komm. Seit wann-«
»Seit heute.« Emilia rieb sich erneut die Nase. »Verdammt staubig hier drinnen«, merkte der Kater an.
 »Was du nicht sagst. Der Staub – Moment – « Die Junghexe schlug sich die Hand vor die Stirn. »Natür- lich! Der Staub!« 
Wenn Katzen dazu in der Lage gewesen wären, so hätte Maunz nun geseufzt, so aber verschluckte er sich nur an einer Wollmaus und begann fürchterlich zu husten. Emilia, die eben noch in Gedanken versunken war, strahlte über das ganze Gesicht. 
»Wenn du so grinst«, merkte der Kater heiser an, »krieg’ ich’s mit der Angst zu tun!« 
»Die meisten Gespenster ernähren sich von etwas sehr simplem«, sagte Emilia. »Blut? Morschem Holz? Menschenseelen? Gehirnen?« Maunz war gar nicht begeistert davon, dass sich Emilia an dem Verschluss der Standuhrtür zu schaffen machte. 
»Nein, mein Guter.« Sie kicherte fröhlich. »Gewöhnlichem Hausstaub!«
»Und – d-du willst es freilassen?« Mit aufgerissenen Augen starrte Maunz seine Herrin an. »Ja! Es ernährt sich von dem Staub und ist glücklich. Denk daran, dass die meisten Gespenster nur ruhelos, nicht gefährlich sind!« 
»Und dann gibt es noch die anderen«, bemerkte er trocken. 
»Jetzt sei nicht so negativ. Du wirst schon sehen, wie gut das funktioniert. Sieh nur seine süßen gelben Augen!« 
»Du bist verrückt! Es wird uns fressen!«, jammerte der Kater und stob aus dem Raum, als sich die Klappe mit einem Klacken öffnete. 
»Bist du schon tot?«, fragte die Stimme, die zu den zwei Katzenohren gehörte, die hinter dem Türrahmen hervorlugten. »Ich bin quicklebendig«, schmun- zelte die Junghexe. 
»Und das Gespenst?«
»Ist hier neben mir. Harmlos. Wie ich gesagt habe.« Die grünen Augen des Katers waren zu Schlitzen 
verengt, als er mit aufgestelltem Nackenhaar in den Raum getapst kam. Das Gespenst war eigentlich gar nicht so groß. Ein bisschen kugelig vielleicht. So wie er selbst. Es wirkte überhaupt nicht so dämonisch, wie er sich Gespenster immer vorgestellt hatte. 
»Na gut«, summte er etwas beschwichtigt. »Behalte es. Aber sag’ nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

DIE LAUDATIO
Enbo Lukas Jin über Annika Zuske: Das Gespenst in der Standuhr
 
Das Gespenst in der Standuhr von Annika Zuske ist eine mit Logik hinterdachte und künstlerisch ausgefeilte Geschichte, die mich sehr beeindruckt hat. Detailreiche Darstellungen und bildhafte Beschreibung geben den Leser*innen eine lebendige Vorstellung, wie alles aussehen könnte. 
Gleich mit dem ersten Satz hat die Autorin meine Neugier geweckt. Je weiter ich gelesen habe, desto mehr hat der Text mich hineingezogen. Mit der Geschichte lädt Annika Zuske die Leser*innen dazu ein, in das Leben der jungen Hexe namens Emilia Funkelduster einzutauchen und einen außergewöhnlichen Abend mit ihr und ihrem Kater Maunz zu erleben. 
Denn seit langem gab es schon keine Gespenster mehr im Haus, und jetzt war eins in einer Standuhr eines staubigen Raumes gefangen und machte die ganze Zeit Lärm. Doch Emilia behält die Ruhe und bleibt optimistisch, während der verängstigte Kater skeptisch ist und pessimistisch bleibt. 
Dank des wundervollen Einfalls der jungen Hexe richtete der Geist nach seiner Freilassung keine Schäden an, weil er sich überraschenderweise von gewöhnlichem Hausstaub ernährte und es genug davon in ihrem Wohnsitz gab. 
Natürlich würde ich auch gerne so ein Gespenst bei mir zu Hause haben, das den Staub im Haus aufisst. Denn dann müsste ich wahrscheinlich nie wieder mehr bei mir staubsaugen. 
Wie Emilia Funkelduster und Maunz bei dem Problem vorgehen, wird präzise, fantasievoll und mit etwas Humor zu einer wirklich verdienten Prämierung des THEO. 
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!!! 

 

Mach mit beim nächsten THEO!
Junge Schreibende, Kinder und Jugendliche bis einschließlich 20 Jahre, aus aller Welt sind aufgerufen, Gedichte und Kurzgeschichten zum Thema „Müll“ zu schreiben und am überregionalen Schreibwettbewerb »THEO – Berlin-Brandenburgischer Preis für Junge Literatur« 2022/23 teilzunehmen.
Einsendeschluss: 15.01.2023