Auf der Suche nach dem besten Buch der Welt.
Interview

BIRGIT WEYHE : Signalorange und Outsidergrün

Von Elizan und Sara (beide 15)

Birgit Weyhe wurde kulturelle Aneignung vorgeworfen. Ein Vorwurf, den sie ernst genommen hat und der sie dennoch nicht davon abhalten konnte, erneut über Rassismus und Schwarze Menschen zu schreiben. Es war schließlich eine geniale Idee, mit der sie den Gegenwind in kreativen Fahrtwind umsetzen konnte.

Das Ergebnis: „Rude Girl“, eine Graphic Novel über das Leben der US-amerikanischen Germanistikprofessorin Priscilla Layne. Über ihre herausfordernde Arbeit an diesem Buch und ihre rastlose Kindheit auf dem afrikanischen Kontinent spricht Birgit Weyhe mit Elizan und Sara, zwei Schülerinnen aus der Paula Fürst Gemeinschaftsschule in Berlin.

Das nach dem Interview noch weiter geplaudert wurde und es dabei schnell um den kulturellen Reichtum der beiden Schülerinnen ging, lag eigentlich nahe. Auch für sie ist Deutschland nur ein Teil ihrer kulturellen Identität. Auch sie kennen den Neuanfang, sprechen viele Sprachen, fühlen sich mehreren Ländern verbunden und haben zu verschiedenster Musik getanzt. Wie schön für dieses Land, dass alle drei Frauen sich letztendlich hier heimisch fühlen, denn sie alle wollen etwas bewegen. Ob als Autorin wie Birgit Weyhe oder – wie die Schülerinnen – als zukünftige Therapeutin, Pilotin oder Kriminologin.

Q
Wie kam es dazu, dass Sie ein Buch über die US-amerikanische Germanistikprofessorin Priscilla Layne geschrieben haben?

A
Priscilla Layne bat mich für Forschungszwecke um ein Interview. Bei unserem Treffen erzählte sie mir, dass sie wegen ihres Kindheitsidols Indiana Jones Deutsch gelernt habe. Das fand ich so lustig, dass ich mehr über sie erfahren wollte. Also habe ich für den Tagesspiegel einen kurzen Comicstrip über sie gemacht. Als ich sie dafür interviewte, sagte ich zu ihr, dass sie soviel zu erzählen habe, dass man ein Buch daraus machen könnte. Ich meinte das mehr aus Spaß. Aber sie fand die Idee cool, weil es so wenig Bücher gibt, über eine Biografie wie die ihre. So fing das an! 

Q
Also basiert die Geschichte auf einer wahren Begebenheit. Haben Sie auch Teile erfunden oder ist das meiste wirklich passiert?

A
Das Buch beschreibt die echte Lebensgeschichte von Priscilla Layne. Am Anfang war sie sich noch nicht sicher, ob sie bei ihrem wirklichen Namen genannt werden möchte, denn was das Buch über sie erzählt, ist ja schon sehr persönlich. Deswegen heißt die Hauptfigur Crystal und auch alle weiteren Personen, die im Buch vorkommen, haben anderen Namen bekommen. Im Laufe der drei Jahre, die ich an dem Buch gearbeitet habe, hat sich Priscilla entschieden, dass sie doch mit ihrem wirklichen Namen hinter dem Buch stehen möchte. Aus rechtlichen Gründen haben wir aber den Namen Crystal beibehalten. In den USA wird man wegen Verletzungen der Persönlichkeitsrechten schnell verklagt. Und da noch viele andere Menschen in dem Buch vorkommen, haben all diese Personen ihre neuen Namen behalten. Aber es ist ihre Lebensgeschichte und alles, was darin beschrieben wird, ist so passiert.

„Ich wollte zeigen, wie wichtig es ist, genauer hinzugucken, statt auf den ersten Blick ein Urteil zu fällen.“

Q
Was wollten Sie mit dem Buch zeigen oder erreichen? 

A
„Erreichen“ klingt so, als ob ich glaube, das ich mit dem Buch irgendwas ändern könnte. Zeigen wollte ich, wie vielschichtig Identität ist. Man sieht eine Person und schließt von der Hautfarbe oder einem anderen äußerlichen Merkmal sofort darauf, wie diese Person ist. So einfach ist es aber nicht! Ich wollte zeigen, wie vielschichtig Herkunft und Identität sind und wie wichtig es ist, genauer hinzugucken, statt auf den ersten Blick ein Urteil zu fällen.

Q
Wie kamen Sie auf die ganzen Zeichnungen und wie lange hat es gedauert? 

A
Ich kann schwer erklären, wie ich auf die Zeichnungen komme. Es ist einfach mein Stil. Man zeichnet, wie man zeichnet. Auf jeden Fall dauert es immer eine Zeit. Manche Seiten gehen ganz schnell und bei anderen habe ich länger gebraucht. Das Kapitel über sexuellen Missbrauch hat mich zum Beispiel viel Zeit gekostet, denn es ist nicht einfach, deutlich zu machen, wie furchtbar ein solches Erlebnis ist, ohne voyeuristisch zu sein. Ich wollte auf keinen Fall noch einmal zeigen, was Priscilla passiert ist, um ihre Persönlichkeit und ihre Privatheit nicht erneut zu verletzen. Für das Kapitel hab ich also lange gebraucht. An dem ganzen Buch saß ich fast drei Jahre. Das lag unter anderem aber auch daran, dass ich nebenbei an anderen Dingen arbeite. Ich gebe Workshops, mache Lesungen usw.

Q
Welche Bedeutung haben die Farben in den Zeichnungen?

A
Crystal, also eigentlich Priscilla, macht ständig die Erfahrung, nicht dazuzugehören. Ich habe das Orange und das Grün gewählt, weil es unbequeme Farben sind. Das merkwürdige Grün ist eine Outsiderfarbe… Wie Rotz, etwas Unbequemes. Und Orange wird oft als Warnfarbe verwendet. Mein Vorgehen war ja so, das ich immer ein Kapitel gezeichnet und es Priscilla geschickt habe. Sie hat mir dann gespiegelt, was ich aus meiner weißen Sicht geschrieben habe, das eigentlich anders sein müsste. Deswegen sind diese Seite immer orange als Korrektur- und Warnfarbe. 

Q
Haben die Seiten mit den großen Bildern eine besondere Bedeutung? Z. B. Seite 198 oder 259.

A
Genau. Alle Seiten mit großen Bildern haben eine besondere Bedeutung. Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass immer kleine Bilder zu sehen sind, stolpert man im Lesefluss darüber, wenn plötzlich diese großen Bilder auftauchen. Dann ist klar, das hat eine besondere Bedeutung. 

„Es wird immer so getan, als ob es hier keinen Rassismus gäbe, dabei ist es für viele Menschen eine alltägliche Erfahrung.“

Q
Warum war es Ihnen wichtig, Rassismus darzustellen? 

A
In Deutschland wird immer noch nicht genug darüber gesprochen, dass Rassismus ein großes und problematisches Thema ist. Es wird immer so getan, als ob es hier keinen Rassismus gäbe, dabei ist es für ganz viele Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben, eine ganz alltägliche Erfahrung. 

Q
Wie kamen Sie darauf, sich selbst in die Geschichte mit einzubeziehen?

A
Ich bin in Uganda und Kenia aufgewachsen, darum hängen viele Themen meiner Büchern mit dem afrikanischen Kontinent zusammen. Kurz bevor ich Priscilla kennenlernte, ist mir in den USA auf einer Tagung vorgeworfen worden, dass ich mit meinen Comics kulturelle Aneignung betreibe. Deswegen hatte ich erst das Gefühl, dass es vielleicht keine gute Idee ist, dieses Thema zu wählen. Es erzählt wieder nicht aus meiner Sichtweise und wieder schreibt eine weiße über eine Schwarze Person. Priscilla meinte aber, dass sie es gerade gut findet. Ich habe eine Zeit gebraucht, um zu überlegen, wie ich als Person aus meiner Perspektive und mit meinem Kontext diese Geschichte erzählen kann. Also habe ich beschlossen, diesen Umstand einfach offen zu legen und auch meine Fehler und meine Beschränktheit in der Sichtweise zu zeigen. Ich bin älter als Priscilla, ich bin weiß, ich komme aus einer anderen Klasse, ich mache automatisch Fehler, aber sie kann mich korrigieren. Dazu musste ich natürlich Teil des Buches sein. 

Q
Sie sind in Ostafrika aufgewachsen und haben dort Ihre Jugend und Ihre Kindheit da verbracht. Wie haben Sie das erlebt?

A
Ich bin tatsächlich ganz anders aufgewachsen als ihr heute. Zum einen dadurch, dass ich eine ganze Ecke älter bin. Es gab damals kein Internet und keine Handys. Ich bin auch ohne Fernseher aufgewachsen. Ich habe also ganz wenig von anderen Teilen der Welt mitbekommen. Ich wusste kaum etwas über Deutschland. Als ich mit 19 hierher zurückgekommen bin, konnte ich zwar Deutsch sprechen und hatte einen deutschen Pass, aber ich konnte mich kaum mit Gleichaltrigen unterhalten. Worüber spricht man in eurem Alter? Über Musik, über Filme, über Fernsehen, über Popkultur. Und davon hatte ich keine Ahnung. Und deswegen fand ich es tatsächlich ganz schön schwierig, hier anzukommen. 

Q
Und was für eine Landsfrau sind Sie?

A
Ich bin Deutsche. Ich bin in München geboren, aber ich bin dort mit drei Jahren weggegangen und mit meiner Mutter nach Uganda und dann in verschiedene Länder gezogen. Heute würde ich sagen, dass ich aus Hamburg komme, weil ich hier am längsten wohne.

Q
Wie waren Sie als Kind?

A
Ich war sehr durcheinander. Ich musste oft die Schule wechseln und kam an Orte, deren Sprache ich nicht konnte. Jedes Mal musste ich mich erst zurechtfinden. Irgendwann war ich sehr schüchtern und es fiel mir schwer, immer wieder neu anzufangen. Ich musste herausfinden, wie die Codes in der Klasse sind. Wie ist die Hierarchie? Wer ist der Boss? Wer wer gibt den Style vor? Das musste ich mir in jeder Klasse neu erarbeiten. Manchmal habe ich in einem Schuljahr dreimal die Schule gewechselt. Irgendwann war meine Strategie, viel alleine zu machen, viel zu zeichnen, viel zu lesen und mich zurückzuziehen. Ich war einfach überfordert. 

„Wie ist die Hierarchie? Wer ist der Boss? Wer wer gibt den Style vor? Das musste ich mir in jeder Klasse neu erarbeiten.“

Q
Aber hatten Sie auch Freunde?

A
In großen Teilen der Schulzeit eher nicht. Einfach, weil ich nie lange genug an einem Ort geblieben bin. Erst gegen Ende der Schulzeit wurde das anders. Da war ich dann längere Zeit in Kenia an einem Ort und konnte Freunde finden. Inzwischen kenne ich viele Leute und habe viele Freunde in meinem Umfeld, aber nach wie vor bin ich kein Partytier. 

Q
Hatten Sie auch Probleme mit dem Sprachenlernen, als Sie so viel umgezogen sind? 

A
Ja, sehr. Ich habe die Sprachen nie gut genug gesprochen. Die einzige Sprache, die ich neben Deutsch gut kann, ist Englisch. Die anderen Sprachen kann ich immer nur ein bisschen. Ich kann mir Brot kaufen oder sagen, wie es mir geht, aber ich kann mich nicht wirklich gut und intensiv unterhalten. Es ist etwas unbefriedigend, wenn man Sprachen nur halb kann. 

Q
Wie kam es, dass Sie in Ostafrika aufgewachsen sind? 

A
Meine Mutter war erst 20, als sie mich bekommen hat. Sie hat sich gleich wieder von meinem Vater getrennt. Sie war ein Hippie, ist in der Welt herum gezogen und hat ihr Leben gelebt. Für sie war das sicher schön, aber für mich als Kind war es anstrengend. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich viel gesehen und gelernt habe. Aber damals wäre ich lieber an einem Ort geblieben. 

Q
Planen Sie noch weitere Geschichten zu schreiben? 

A
Das ist mein Job. Ich arbeite immer schon an der nächsten Geschichte. Im Moment mache ich ein Buch über Argentinien während der Militärdiktatur. In den 70er- und 80er-Jahren sind dort sehr viele Menschen verschwunden. Was bedeutet es für die Menschen, wenn plötzlich ein Familienmitglied verschwindet und man nicht weiß, ob diese Person noch lebt oder umgebracht wurde, ob es ein Grab gibt oder nicht? Wie schrecklich muss dieser Zustand sein?! Momentan gibt es in so vielen Ländern wieder Diktaturen. Die Denkweise, dass man andere Menschen nicht aushalten kann und sie deswegen ausschalten muss, ist weltweit auf dem Vormarsch. Darum habe ich mich für dieses Thema entschieden.

Q
Ich finde die Zeichnungen in Ihrem Comic sehr schön. Ich zeichne auch sehr gerne.

A
Wisst ihr schon, was ihr mal machen wollt? 

Q
Ich habe überlegt, Therapie zu studieren, aber da verdient man sehr wenig Geld. Vielleicht werde ich Pilotin. Ich weiß noch nicht genau. 

A
Und was willst du werden? Weißt du das schon? 

Q
Ich will Kriminologin werden. Vielleicht. Auf jeden Fall irgendwas im Polizeibereich, aber ich bin mir noch nicht so sicher, was genau.

A
Ach, das wäre super. Es wäre gut, wenn es da mehr Frauen gäbe. Was auch immer ihr entscheidet, ich drücke euch die Daumen.