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Feature

CELIA CHUNG : Bübelfratziklusium

Von Christoph Kalbitzer

Hat das Universum zufällig oder willentlich einen Purzelbaum gemacht, als Celia Chung im Juli 2011 geboren wurde? Hat dieser Purzelbaum eine Kettenreaktion ausgelöst, in dessen Mittelteil ein Schwarm Mini-Ufos mit ziemlich lustigen Ideen auf Celias Schreibtisch gelandet ist? Und hat sie daraufhin regelmäßig mit ihnen gespielt, so dass es sich unter den Freund*innen der Ideen rumgesprochen hat, dass es ein großer Spaß ist, Celia zu besuchen? So, so ähnlich oder auch anders kurios könnte es gewesen sein. Es wäre zumindest eine Erklärung, warum Celia Chung eine erstaunlich begabte Geschichtenerzählerin ist.

Mit "Bübelfratzklusium" hat sie eine Geschichte erfunden, die vor Leichtigkeit, Witz und Fantasie strotzt. Die Berlinerin begeisterte sich bereits in frühen Jahren für Bücher. Als sie mit 10 Jahren "Alles im Fluss" von Anna Herzog las, entdeckte sie die Freude am Filmen. Wenn sie groß ist, möchte sie Regisseurin oder Drehbuch- autorin werden. Zucker & Zitrone freut sich jetzt schon auf die Filme, die sie erschaffen wird. Zudem beschleicht uns die Ahnung, das Celia eines Tages ein weltbewegendes und urkomisches Standardwerk über die Kunst der Fantasiesprache schreibt. Beflügelt von "Bübelfratziklusium" stimmen wir in Celias Motto ein: „Mal sehen, was kommt."


Bübelfratziklusium 
Celia Chung, 11 Jahre

An einem grauen, regnerischen Tag saß das Gespenst Sonnenschein-Evakoum-Kater-Orkan, kurz SEKO, an seinem Fenster. SEKO schaute raus und grübelte. Falls man das Grübeln nennen konnte, denn bei Gespenstern heißt das: Krümpfeln. SEKO krümpfelte über das Weiß-Sein der Gespenster. Er fragte sich: Warum müssen Gespenster eigentlich weiß sein? Bei Gespenstern war nicht nur das Aussehen weiß, sondern auch der Regen, das Essen, das Shampoo, die Luft, die Stifte, die Bücher (und auch die Schrift, wodurch man fast nichts mehr lesen konnte), die Computer und sogar das letzte Schachbrett. Alles war weiß, und die Gespenster waren überall getarnt. Langsam fand SEKO das ziemlich langweilig. Wie alle kleinen Gespenster. Aber kleine Gespenster konnten überhaupt nichts ausrichten. Leider, fand SEKO. Richtig, fanden die großen Gespenster. Egal. Bald sind wir groß, fanden alle anderen kleinen Gespenster. Schön, dachte SEKO, dann muss ich alleine irgendwas machen ... Aber was sollte er denn anstellen? Er musste alles farbig machen. Irgendwie ... Da fiel ihm etwas ein: Wie wär’s, wenn er einfach einen Zauber ausprobierte? Es gab doch jede Menge. Aber dieser eine Zauberspruch, der war wahrscheinlich – ja, bestimmt – im verbotenen Bereich für junge Gespenster der Gespensterbibliothek. Und die Bibliothekarin war sehr, sehr wachsam. Sie bemerkte alles. Es sei denn ... es sei denn, ich bin unsichtbar!, fiel SEKO ein. Und den Unsichtbar- keitszauber würde er auch in Nilsson Hollischolli’s allgemeines Lexikon für junge und unerfahrene Gespenster und Geister finden. So hatte SEKO einen Plan, den er nur noch in Taten umsetzen musste. Als erstes brauchte er Nilsson Hollischolli’s allgemeines Lexikon für junge und unerfahrene Gespenster und Geister. »U ... u ... u ...UUUUUHHH!«, rief SEKO. SEKO fand U wie Uhrwerk, U wie Uchsmucks und endlich U wie Unsichtbar. Unsichtbar in 3 Schritten stand da. Gut. Da stand, dass man Trockzen in Mondengluck tunken musste und rund zwei gespenster- langweilige Stunden abwarten musste. Danach alles schlucken und bla bla bla ... Na das ist ja einfach!, wunderte SEKO sich. Er ging in den Garten und holte einen Bund Trockzen. Das Fläschchen mit Mondengluck stand im Küchenregal. Sofort war alles erledigt und es zischte, denn Mondengluck war immer sehr warm. Leider waren zwei gespensterlangweilige Stunden wirklich so, wie sie sich anhörten. Nämlich langweilig. SEKO hatte gerade mal eine gespensterlangweilige Minute hinter sich gebracht, da graute es ihm schon vor entsetzlicher Langweile. Halt!, dachte SEKO. Es graute ihm. Hieß das, dass er grau wurde? Bis zu diesem Moment war noch nie ein Gespenst darauf gekommen, dass es einem vor Langweile grauen konnte. Tatsächlich! SEKOs Ärmel wurde langsam grau. SEKO hatte noch nie etwas anderes als weiß gesehen. Es war einfach nur unglaublich. » Wooooooow ...« , murmelte SEKO. Er verbrachte wahrscheinlich eine ganze Stunde damit, seinen Ärmel anzugaffen. Danach probierte er, ob es einem auch roten, orangen, grünen oder pinken konnte. Leider klappte es nicht und SEKO war ziemlich enttäuscht. Aber zumindest waren die zwei gespensterlangweiligen Stunden vorbei und SEKO probierte einen Schluck. Es schmeckte nach Milch. Nach weißer Milch. (Wie ihr wisst, ist Milch weiß, aber in dem Gespensterland war sowieso alles weiß, also nichts Ungewöhnliches.) 
»Lecker«, sagte SEKO. Und es war auch lecker. Da bemerkte er, dass Unsichtbarkeit sich über sein Bein legte. Er wurde ganz und gar unsichtbar! Eine Sache hatte SEKO übersehen. Und das war der Satz »Hält nur für eine halbe gespensterlangweilige Stunde an!«. 
Aber SEKO hatte das nicht gelesen und las es auch jetzt nicht. Zu seinem Pech, wie sich nachher herausstellte, aber zurück. SEKO wurde also unsichtbar und man sah ihn noch weniger, als man ihn eh nicht sehen konnte. Denn – ja, ihr habt es erraten – auch die Straßen waren weiß. Und die Straßenlaternen, die spärliches, weißes Licht auf den, mit weißen Kieselsteinen gepflasterten weißen Weg warfen. SEKO lief, oder bei Gespenstern: schwebte zur Gespensterbibliothek. Die Bibliothekarin hatte wie geplant nichts gemerkt. Alles lief gut. Jetzt brauchte SEKO ein Buch mit dem Superduperfarben-Zauber. Er fand es schließlich und dachte, er würde noch schnell den nächsten Teil von den Weißgespenster-Chroniken ausleihen. 

Er schwebte, immer noch unsichtbar (und immer noch nichts von der baldigen Auflösung des Trankes ahnend) zum Regal mit den Weißgespenster-Chroniken. Er nahm sich den 119.Teil und schwebte gerade wieder zum Aus- gang, doch in dem Moment ... 
... löste sich der Zauber auf. Er wurde sichtbar und die Bibliothekarin schaute ihn böse an. SEKO zog schon mal den Kopf ein,als die Bibliothekarin drohend fragte: 
»WAS. HAST. DU. HIER. IN. DER. HAND?!« 
SEKO, ganz eingeschüchtert, reichte der Bibliothekarin langsam ein Buch, von den zweien, die er in der Hand hielt. »Ah, verstehe schon... Früher als Kind hab ich die Weißgespenster-Chroniken auch wirklich sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, se-« 
»Wie steht’s, willst du den Satz zu Ende bringen?«, fragte in diesem Moment ein Gespenstermann. Er brauchte so lange, um seinen Satz zu beenden, wie SEKO brauchte, um der Bibliothekarin den 119.Teil der Weißgespenster-Chroniken aus der Hand zu reißen und um abzuhauen. Zuhause angekommen warf SEKO sich auf sein Bett. Aber da war kein Bett. Das Bett war weiß und das ganze Zimmer war weiß. Er hatte sich einfach in die Luft geworfen. Noch einer der Supergründe, weshalb alles bunt werden sollte. Die Supergründe waren: 
1. Die Schrift wird sichtbarer und die Bücher schöner. 
2. Man kann Fernseher auch richtig benutzen. 
3. Bilder sind nicht mehr nutzlos wie sonst. Und 4. Man sieht mehr Dinge. 
Endlich hatte SEKO sein Bett gefunden und warf sich jetzt drauf. Er suchte die Seiten ab und als er es fand, freute er sich viel zu dolle um wahr zu sein. Langsam und mit Mühe las er den Text durch. Er lautete: Farbig zaubern. Achtung: Niemals anwenden! Man schwinge drei Mal den Kopf und rufe dabei: »Riddalukus!« Wenn sich etwas tut, dann sage man so laut und deutlich wie möglich: »Bübelfratziklusium!!!!!!« Für evtl. Schaden übernehmen wir keine Haftung! 
Das war gut. SEKO schwang dreimal lässig den Kopf und rief: »Riddalukus!« Ein silberner Faden schoss hervor. Jetzt musste er dieses Wort sagen. Er holte tief Luft. »BÜBELFRATZIKLUSIUM!« Sofort kam ein Pinsel angeflogen und mit ihm ein Farbeimer mit... Glas? Er tunkte seinen Pinsel in den Eimer. SEKO fand schon immer, dass Spukketthis (in »Menschisch« Spaghetti) lila sein sollten und jetzt wurde eine Portion, die auf einem Restauranttisch stand, lila! Alle schimpften wie Gespensterrohrspatzen. Gespensterrohrspatzen jammerten und meckerten den ganzen Tag. Sie sahen nicht einmal wie Spatzen aus, sondern hatten am Kopf gräss-liche Beulen und waren rundum popelgrau. SEKO fand alle Farben schön, sogar popelgrau. Nur hieß es popelgrau und so musste die Farbe popelgrün wohl in dem Elixier (das Wort hatten die Geister und Gespenster in der G-G-Schule gelernt. G-G-Schule stand für Gespenster-Geister-Schule.) Popel sein. Es war sehr kniffelig und SEKO schrieb es immer falsch aus. Wie dem auch sei, deshalb machte SEKO das Elixier Popel popelgrau. Er überlegte und kam auf die Idee, dass es ja mehrere Objekte mit der Farbe Lila geben könnte. Er tobte sich nach Lust und Laune aus. Auberginen, Weintrauben, Stifte, alles pinselte das Gespenst lila an. Dann war grün dran. Melonen, (andere) Weintrauben und (wieder andere) Stifte. Den anderen Gespensterkindern gefiel es, bloß den Erwachsenen nicht. Aber den Zauber konnte man nicht auflösen, egal was man dagegen tun wollte. Nicht einmal der SUPERGEGENFLUCH half. Und der half normalerweise immer. Aber im Buch stand: Niemals anwenden! Da half natürlich kein Gegenfluchen. Zum Glück gab es ja die Kinder. Sie bettelten die Eltern an, was das Zeug hielt. Am Ende war es endlich vollbracht. Die Eltern waren umgestimmt worden und alle fanden die Farben schön. So, nun sind wir schon fast am Ende. Aber SEKO hat darauf bestanden, dass wir noch die beste Veränderung nennen. Und die ist, dass SEKO jetzt immer auf sein Bett kann, ohne, dass er plötzlich auf dem Boden landete, weil er sich in die Luft geschmissen hatte. Das war nun die beste Veränderung und somit kommt eine Sache immer näher, nämlich das große Ende. 
Aber halt! SEKO muss doch »Tschüss« sagen! »Tschüss!« Gut, das war’s. Dann müssen wir uns wohl oder übel verabschieden. Jetzt ist es endgültig und jetzt kommt das große Ende! 

 

DIE LAUDATIO
Lisa Krusche über Celia Chung: Bübelfratziklusium 

Das Gespenst SEKO stellt sich eine bedeutende Frage: Warum müssen Gespenster und alles was mit ihnen zu tun hat eigentlich weiß sein? Das ist doch ziemlich langweilig und führt zu allerhand Problemen. So kann es passieren, dass man sich als Gespenst andauernd in die Luft wirft, statt auf das eigene Bett, weil man das Bett eben gar nicht sehen kann so weiß in weiß. Gute Frage also, denkt man sich, warum ist das eigentlich so und muss das so bleiben? Muss es nicht. Davon erzählt Celia Chung in ihrem Text Bübelfratziklusium auf eine sehr phantasievolle Art und Weise, mit viel Witz und einer tollen Sprache. 
Da sind zum Beispiel Wortneuschöpfungen wie krümpfeln – wie grübeln bei Gespenstern heißt –, Trockzen und Mondengluck – zwei mystische Zutaten für den Unsichtbarkeitstrank – oder auch Spukketthis – das Gespensterwort für Spagetti. Ein gewitzter Umgang mit Worten, der ihnen mitunter auch neue Bedeutungen entlockt: So wie wenn es SEKO vor der Langweile graut, was nicht bedeutet, dass er Grauen empfindet, sondern dass das kleine Gespenst ganz grau wird. Am liebsten würde ich all die tollen Erfindungen, die in diesem Text stecken, einzeln aufzählen, von den »Supergründen«, warum alles bunt werden sollte, bis hin zu den Gespensterrohrspatzen, die grässliche Beulen am Kopf haben und den ganzen Tag nur meckern. Aber am besten man liest den Text einfach selbst. 
Celia Chung zeigt uns, dass auch kleine Gespenster etwas ausrichten und die Welt ein ganzes Stück bunter machen können. Das Gleiche gilt für die Autorin selbst, dieser Text jedenfalls hat meine Welt ein ganzes großes Stück bunter gemacht. 

 

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