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CHANTAL-FLEUR SANDJON : Die Literaturaktivistin strahlt und wirkt
"Die Sonne, so strahlend und Schwarz" ist der Titel ihres mehrfach ausgezeichneten Versromans. Er steht für die Poesie und pulsiert gleichzeitig wie die Sprachkraft seiner Coming-of-Age-Geschichte. Zudem scheint der Satz zwischen seinen Worten wie ein Sinnbild der Kunst und des Engagements seiner Autorin Chantal-Fleur Sandjon.
Die afrodeutsche Literaturaktivistin, Spoken-Word-Künstlerin und Diversity-Trainerin nutzt die Weite der Sprache, um von diversen Lebenswirklichkeiten zu erzählen. Sie dichtet für die Wahrnehmung und Schönheit der Vielfalt, kommuniziert, sensibilisiert, inspiriert, setzt sich ein und wirkt.
Mit Uche, Abdullah, Raghad und Aliyah vom Schüler*innen-Redaktionsteam „URA" der 8a der Stadteilschule Horn in Hamburg sprach sie über Erfahrungen, die sie antreiben zu schreiben, was es bedeutet, wenn Zuhause kein sicherer Ort ist. Sie erzählt von der Erkenntnis, dass es schön sein kann, überall ein bisschen hinzugehören und dass sie Menschen hilft, Vielfalt in der Gesellschaft als etwas Positives wahrzunehmen.
Wie sind Sie dazu gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe im März 2020 angefangen zu schreiben, das war kurz nach dem ersten Lockdown. Es war diese Zeit, in der alle gesagt haben, bleibt zuhause, denn dort seid ihr sicher. Aber das Zuhause ist es nicht für alle sicher. Das ist eine Erfahrung, die ich als Kind gemacht habe. Was bedeutet dass, wenn Zuhause kein sicherer Ort ist? Aus dieser Frage heraus habe ich angefangen, das Buch zu schreiben.
Wie sind Sie auf diesen Titel gekommen?
Ich mag den Titel sehr gerne. Er war auch mein Arbeitstitel und nicht immer ist der Arbeitstitel später auch der Titel des Romans. Da hatte ich Glück, denn am Ende entscheidet das der Verlag. Dieser Satz "Die Sonne, so strahlend und Schwarz" ist ein Zitat aus dem Buch. Für mich hat er sehr gut gepasst, zum Einen, weil diese Stelle im Roman sehr wichtig ist. Aber auch, weil er deutlich macht, dass es ein poetischer Roman ist. Es ist ja nicht logisch, dass die Sonne strahlend und schwarz ist. Und außerdem war es mir wichtig, das auch gleich sichtbar wird, dass es auch um Schwarzsein geht.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen einen Versroman zu schreiben?
Ich habe schon früh angefangen, Gedichte zu schreiben und als ich zehn war gleich meinen ersten Gedichtwettbewerb gewonnen. Das Gedicht, mit dem ich gewonnen habe, hieß "Mein Bruder ist ein Arsch". Für mich als 10-Jährige war es ein total schönes Gefühl, über meinen jüngeren Bruder zu schreiben und dafür einen Preis zu bekommen. Und so habe ich immer gerne Gedichte geschrieben. Auch noch als Jugendliche. Ich habe erst in einer Schülerzeitung mitgemacht und später in einer Jugendzeitung. Für mich waren Gedichte schon immer wichtig. Es macht viel mit mir, wenn ich sie lese. Oft geben sie Raum für eine neue Sprache oder für Dinge, die ich in der alltäglichen Sprache nicht finde. Deshalb wollte ich das gerne ausprobieren.
Und wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Ich habe im März 2020 angefangen und das Buch ist im Mai Juni 2022 erschienen. Also knapp zwei Jahre. Der längste Teil war der erste Entwurf, in dem ich die Geschichte gefunden habe. Die Überarbeitung geht dann ein bisschen schneller.
Wurden Sie von anderen Büchern inspiriert?
Ja, auf jeden Fall. Vieles hat mich auch unbewusst beeinflusst. Inspirationen sind ja oft nicht genau nachvollziehbar. Manchmal merkt man erst viel später, woher eine Idee oder eine Inspiration kam. Aber bewusst inspiriert haben mich andere Versromane. Zum Beispiel "Poet X" von Elizabeth Acevedo, das wurde übrigens auch ins Deutsche übersetzt . Oder "Brown Girl Dreaming" von Jacqueline Woodson. Und neben Versromanen auch Poesie allgemein. Zum Beispiel die Arbeit von May Ayim, einer afrodeutschen Dichterin.
Dürfen wir persönliche Fragen stellen?
Ja, na klar. Sehr gerne.
Hatten Sie Schwierigkeiten mit Ihrer Identität?
Meine Mutter ist Deutsche. Mein Vater ist aus Kamerun. Er ist in den Achtzigern als Student nach Deutschland gekommen. In den Achtzigern waren Anfeindungen gegenüber Schwarzen Menschen noch stärker als heute. Wobei ich bei meinen Kindern merke, dass noch viele Sachen passieren, von denen ich dachte, die wären gar nicht mehr so. Meine Tochter war in einer Kita, mit vielen afrodeutschen Kinder. Als sie dann auf die Schule kam, war es für sie komisch, auf Leute zu treffen, die Sachen gesagt haben wie: "Du musst aus Afrika kommen, weil alle Menschen die aussehen wie du, die sind immer aus Afrika." Sie meinte: "Ich bin ja aus Berlin." Das war für sie sehr komisch, weil sie davor kaum solche Erfahrungen gemacht hat. Auch ich bin in Berlin groß geworden. Die Stimmung nach dem Mauerfall war nicht unbedingt besser für Menschen, die in irgendeiner Form migrantisch sind oder migrantisch wahrgenommen werden. Das war für mich immer ein Thema. Ich bin in Berlin geboren und großgeworden, aber immer war da dieses Gefühl, dass ich woanders herkommen muss. Aber wenn ich in Kamerun bin und meine Familie besuche, dann bin ich auch dort anders. Wenn die Menschen sehen, wie ich rumlaufe, wie ich spreche und wie ich aussehe, sagen sie, ich wäre Europäerin. Es ist eine Herausforderungen, mit diesem Gefühl umzugehen. Nirgendwo sagen Leute, genau hier gehörst du hin. Ich musste erst lernen sagen zu können, ich gehöre dahin, wo ich mich zuhause fühle und wo die Menschen sind, die mich verwurzeln lassen. In Deutschland sagt man mir, ich käme woanders her. In Kamerun sagt man mir, ich käme woanders her. Und was sage ich? Es war eine Reise, bis ich irgendwann feststellen konnte: "Ich gehöre überall ein bisschen hin und das kann etwas Schönes sein."
In welchem Alter haben Sie sich geoutet?
Gute Frage. Für mich war das lange ein Thema. In der Schulzeit war es schwieriger für mich. In der Oberschule war niemand geoutet. Es gab immer nur Gerüchte. Und das war dann immer ganz furchtbar, wenn über jemanden gesagt wurde er oder sie sei lesbisch oder schwul. Das war immer mit etwas sehr Negativen verbunden. Nach der Schulzeit, mit 18 oder 19, war es immer für mich eine Selbstverständlichkeit zu sagen, dass ich bi bin. Es gab nicht diesen einen, großen Moment, in dem ich mich vor allen geoutet habe. Aber als ich mit Anfang 20 meine erste Freundin hatte, das hat noch mal viel ausgemacht. Es ist anders, mit einem Mädchen rumzulaufen, als mit einem Jungen und Händchen zu halten oder sich zu küssen, weil die Reaktionen sehr anders sind.
Was ist eine Literaturaktivistin?
Ich habe den Begriff irgendwann für mich gewählt. Bei Interviews oder Anfragen von Zeitungen wurde über mich ganz oft gesagt, ich sei Aktivistin. Ich verstehe mich nicht als Aktivistin, weil ich unter einer Aktivistin jemanden verstehe, der sehr lautstark ist und sich zu Themen stark positioniert. Ich mache sehr wenig online, ich positioniere mich dort nicht, indem ich zu allen Konflikten oder Themen etwas sagen muss. Für mich ist mein Aktivismus die Literatur. Womit ich etwas ändern kann, womit ich etwas bewirken kann, das ist für mich das Schreiben. Deshalb habe ich gesagt, ich bin keine Aktivistin, aber ich bin Literaturaktivistin, weil ich mich für eine Literatur einsetze, die stärker der Realität entspricht, der gelebten Vielfalt, als es heute oft der Fall ist. In meinem eigenen Schreiben schaue ich immer wieder, wie ich Raum schaffen kann für verschiedene Lebenswirklichkeiten.
Was macht eine Diversity-Trainerin?
Eine Diversity-Trainerin bietet Fortbildungen an und Workshops zum Thema Diversität. Und da geht es darum, Menschen für das Thema zu sensibilisieren, die sich aufgrund ihrer eigenen Biografie damit bisher wenig auseinandergesetzt haben, weil sie zum Beispiel gar keine Diskriminierung erleben. Wenn uns eine Diskriminierung nicht betrifft, setzen wir uns meistens nicht mit ihr auseinander. Ich zum Beispiel denke wenig darüber nach, dass ich sehen kann, dass ich überall die Treppen hoch gehen kann oder, dass mich niemand aufgrund meines Körpers beleidigt, weil ich weder dick noch dünn bin. Als Diversity-Trainerin begleite ich Menschen in dem Verständnisprozess, sich mit den Diskriminierungserfahrungen und den Lebenswirklichkeiten anderer auseinanderzusetzen. Ich möchte Menschen dafür bewusster machen, was es heißt, Diskriminierungen in verschiedenen Lebensbereichen zu erfahren und ihnen helfen, die Vielfalt in der Gesellschaft als etwas Positives wahrzunehmen.
Gehen Sie auf Demos?
Ja, aber sehr wenig, muss ich sagen. Ich war auf einer Black Lives Matter Demo. Und wir waren auch am am Internationalen Frauentag unterwegs. Meine Tochter geht immer sehr gerne zur Pride, weil sie es schön findet, wenn alle bunt angezogen sind, laute Musik gespielt wird und überall Regenbogenflaggen sind. Aber ich finde es oft herausfordernd, unter so vielen Menschen zu sein. Für mich ist es manchmal schwer auszuhalten, wenn da so viele Menschen sind und man nicht weiß, was passiert.