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CORNELIA TRAVNICEK : Smart und würdevoll wie ein Oktopus
Je mehr du liest und hörst, was sie beschreibt, erzählt und erfindet, desto mehr erscheint das beeindruckende Wesen auf dem Cover ihres Jugendbuches „Harte Schale, Weichtierkern“ wie ein Sinnbild für die niederösterreichische Autorin Cornelia Travnicek.
Es wird gesagt, dass Oktopusse für Intelligenz, Willenskraft und Kreativität stehen. Ponyhofbesitzerin und Erfinderin wollte sie als Kind werden. Sie ist so viel mehr geworden. Ihre Texten jonglieren mit und changieren zwischen Kraft und Zartheit, harten Realismus und Poesie, schweren Schicksalen und wilder Leichtigkeit, Humor und Coolness. Für "Harte Schale, Weichtierkern" wurde sie für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 nominiert. Luna, Sümra, Nida, Selin und Sakhia vom Schüler*innen-Redaktionsteam „Frank Ocean" der 8e der Stadteilschule Horn in Hamburg haben sie interviewt.
Warum haben Sie das Buch geschrieben?
Zum einen, weil ich darum gebeten wurde. Das ist das erste meiner Bücher, bei dem eine Lektorin eines Verlages an mich herangetreten ist und gesagt hat, sie würde mich gerne einladen, ein Buch für sie zu schreiben. Meistens ist es als Schriftstellerin so, dass man selbst eine Idee hat, ein Buch zu schreiben. Dann läuft man einem Verlag hinterher und sagt „Bitte, bitte, bitte, veröffentlichen Sie es!“ In dem Fall war es anders. Bei Beltz & Gelberg, das ist der Verlag, bei dem „Harte Schale, Weichtierkern“ erschienen ist, gibt es eine Reihe von illustrierten Jugendromanen gibt, mit hauptsächlich weiblichen Protagonistinnen im Alter von 16 bis 17. Ich glaube, dass mittlerweile das dritte oder vierte Buch in der Reihe erschienen ist. Meins war das zweite. Ich wurde gebeten, mir eine Protagonistin zu überlegen und die Geschichte in einer bestimmten Zeit zu schreiben. Die einzigen Vorgaben waren, dass es eine Geschichte mit einer weiblichen Hauptfigur im Alter von 16 bis 17 Jahren ist, die sich in einer besondere Lebenssituation befindet. Dann habe ich überlegt, welche Lebenssituation ich interessant finden würde. Und da ist mir in den Sinn gekommen, dass in Sachen Neurodiversität Frauen unterrepräsentiert sind. Es gibt ganz viele Geschichten, bei denen Männer im Mittelpunkt stehen. Vor allem im Bereich Autismus und ADHS. Und ich wollte unbedingt eine Geschichte machen mit einem Mädchen.
Was hat sie beim Schreiben der Geschichte inspiriert?
Schon als Jugendliche, und jetzt auch wieder, habe ich Geschichten gelesen und gesehen mit autistischen Personen im Mittelpunkt. Zum Beispiel „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ von Marc Haddon. Das ist ungefähr vor zwanzig Jahren erschienen. Und jetzt sind es Serien wie „Atypical“ auf Netflix, die wieder sehr im Fokus sind, aber die eben alles männliche Protagonisten haben. Und ich wollte eine Geschichte von einer weiblichen Jugendlichen erzählen.
Und jetzt unsere dritte Frage: Wieso haben Sie über Sex geschrieben?
Mit der Geschichte wollte ich auch Akzeptanz und Aufgeschlossenheit dem eigenen Körper gegenüber vermitteln.
Was wollten Sie als Kind werden?
Ponyhofbesitzerin und Erfinderin. Das bin ich tatsächlich auch ein bisschen geworden. Ich habe Informatik studiert und arbeite in einem Forschungszentrum für Computergrafik. Ich mochte immer die Figur des zerstreuten Erfinders oder des zerstreuten Professors. Das waren meine Lieblingsfiguren in Filmen. Oder Naturforscher. Ich habe sehr gerne Geschichten von Leuten gelesen, die mit Segelschiffen auf Forschungsreisen aufgebrochen sind, wie Alexander von Humboldt. Menschen, die am Amazonas forschten, die Seidenstraße bereist haben, vor Hunderten von Jahren. Ja, das hat mich fasziniert
(lacht)Auf was sind Sie am meisten Stolz?
In meinem ganzen Leben?
Ja.
Oh, schwierige Frage. Als Schriftstellerin bin ich immer auf das letzte Buch stolz, also das mit dem ich mich gerade am meisten beschäftigt und alle Schwierigkeiten überwunden habe. Ja, ich bin jedes Mal stolz, wenn ich es schaffe, ein Buch fertig zu schreiben. Weil mir das jedes Mal unmöglich vorkommt, einen ganzen Roman zu schreiben, wenn ich anfange. – Was mich aber persönlich am meisten stolz macht, ist, verstanden zu haben, was für ein Leben für mich passt und was mich glücklich macht. Dass ich zum Beispiel nicht 40 Stunden arbeiten möchte. Und dass ich Sachen ausprobiere, obwohl sie mir auf den ersten Blick Angst machen. Ich habe Angst vor Fischen, nicht vor Goldfischen, aber vor großen Fischen, und habe trotzdem einen Tauchkurs gemacht, und obwohl ich Angst vor großen Fischen habe, habe ich einen dreitägigen Surfkurs gemacht. Mich selbst zu überwinden und dann ganz tolle Erlebnisse zu haben, das tut gut.
Haben Sie Kinder? Und wenn ja, lesen Sie ihnen dann auch Ihre eigenen Geschichten vor?
Ja, ich habe eine Tochter, die jetzt dreieinhalb ist. Vor einigen Jahren habe ich auch angefangen, Texte für Bilderbücher zu schreiben. Davon sind inzwischen drei erschienen. Beim Schreiben des vierten, welches nächstes Jahr erscheint, habe ich meiner Tochter Teile der Geschichte vorgelesen. Wenn es ihr gefallen hat, hat sie gefragt, wie es weitergeht. So wusste ich, dass es Kinder interessiert. Sehr praktisch so eine kleine Testleserin zu Hause. Wie sie später die Bücher lesen wird, die ich jetzt geschrieben habe, die für Jugendliche und Erwachsene sind, das weiß ich nicht. Ich werde sie natürlich nicht verstecken vor ihr, aber ich werde sie auch nicht zwingen, sie zu lesen. Je nachdem, wie sie das selbst möchte. (lacht) Sie kommt manchmal mit auf Lesungen und dann sagt sie anschließend immer „Die Mama ist berühmt“, weil sie aus Büchern gelernt hat, dass man berühmt ist, wenn man ein Mikrofon vor der Nase hat. Und wenn ich auf der Bühne sitze und in ein Mikrofon spreche, dann läuft sie danach im Kreis und schreit „Die Mama ist berühmt“.
Verdienen Sie eigentlich genug mit Ihrem Schreiben, sodass Sie davon leben können?
Außerdem habe ich angefangen, für das Fernsehen zu schreiben, ein Drehbuchauftrag. Ein solcher ist sehr viel besser bezahlt als Bücher für Buchhandlungen. Im Buchhandel kommt es auch darauf an, was man schreibt. Manche Genres verkaufen sich gerade sehr gut und andere Genres verkaufen sich nicht so gut im deutschen Buchhandel. Wenn ich ein neues Buch veröffentliche, weiß ich vorher nicht, wie viele Exemplare verkauft werden. Das Buch, das ihr gelesen habt, kostet 15 € im Buchhandel. Davon bekomme ich pro verkauften Buch ca. 1,50 €. Davon muss ich dann noch Steuern und Sozialversicherung bezahlen.
Oh, mein Gott.
Also brauche ich weitere Einnahmequellen. Ich mache viele durch verschiedene Kultureinrichtungen geförderte Lesungen, auch in Schulen. Zudem habe ich eine Kolumne in einem Kulturmagazin vier-fünfmal im Jahr. Für eine große österreichische Tageszeitung rezensiere ich Bücher. Manchmal gebe ich Literaturworkshops. Oder ich werde eingeladen zu Podiumsdiskussionen. Ja, so kriege ich als Schriftstellerin Geld zusammen. Immer unterschiedlich.
Vielen Dank, dass wir Sie interviewen konnten.