Auf der Suche nach dem besten Buch der Welt.
Interview

DITA ZIPFEL : Von Käfern und Menschen

Von Sven Fortmann

Man darf sich da eigentlich nix vormachen: Nur weil man irgendwas so richtig cool findet - ein Buch, einen Song, ein Film, ach, tatsächlich gilt das für so ziemlich alles - bedeutet das nicht automatisch, dass der kreative Geist, dass die Person dahinter, ebenfalls komplett großartig sein muss und einem bereits beim Händeschütteln die Welt aus den Angeln hebt. Muss sie ja auch gar nicht und vielleicht wäre das auch ein bisschen zu viel des Guten. Mit der in Berlin lebenden Autorin Dita Zipfel verhält sich das glücklicherweise anders.

Ihr Romandebüt „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ war eine mittelschwere Sensation und wurde 2020 völlig zurecht mit dem deutschen Jugendliteraturpreis (und vielem mehr) ausgezeichnet. Im Januar dieses Jahres erschien nun der Nachfolger „Brummps - Sie nannten ihn Ameise“, der wie sein Vorgänger eine unkonventionelle Geschichte über Außenseiter, Freundschaft, Sehnsüchte, Selbstfindung und Mut erzählt - und doch ein ganz anderes Buch geworden ist.
Wie Titel und Buchcover es bereits vermuten lassen, spielt „Brummps“ im Reich der Insekten. Erzählt wird die Geschichte von Jonny Ameise und seiner Freundin Butz, die beide aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht so wirklich in den perfekt organisierten Alltag des Ameisenstaats passen wollen. Als dem schwer kurzsichtigen Jonny dann eines Tages nicht nur ein übler Streich gespielt, sondern im Zuge dessen das höchst ansteckende Brummps diagnostiziert wird, ist es höchste Zeit, dem Hügel den Rücken zu kehren. Doch was anschließend passiert, überrascht alle. Und Jonny am allermeisten.
Was beide Geschichten ausmacht, ist die verwendete Sprache, die sich der Zielgruppe nie so wirklich anpassen will und stattdessen lieber Loopings fliegt, quirlig einen linken Haken antäuscht, nur um einen schlussendlich von hinten anzuspringen, wenn man es am wenigsten erwartet. Und das ist nur eines von vielen Komplimenten, die man ihren Büchern machen kann, nein, machen muss. Zudem ist „Brummps“ wohl das einzige Kinderbuch der Welt, das mit einem Songzitat des Indie-Darlings Devendra Banharts eröffnet wird.
Zucker & Zitrone trifft Dita Zipfel an einem viel zu windigen, grauen Januartag auf dem Tempelhofer Feld, um mit ihr über ihre Bücher, Theaterstücke und den Verlag Huckepack, den sie zusammen mit ihrem Ehemann, dem Autor Finn-Ole Heinrich, gegründet hat, zu reden.

„Ich finde die gängige Unterteilung in Kinder- und Jugendliteratur und Erwachsenenliteratur ehrlich gesagt ein wenig absurd.“
ACHTUNG!

Q
Dita, du bist ja im Norden Deutschlands groß geworden und hast mit deiner Familie längere Zeit in Südfrankreich gelebt. Wenn man zwei so tolle Optionen hat, warum verschlägt es einen dann eigentlich ins graue Berlin?

A
Der eigentliche Grund, warum wir unser kleines Schloss im ländlichen Südfrankreich verlassen hatten, war, dass unser Kind irgendwann pädagogisch betreut werden musste … Und das war in dieser Region nicht wirklich einfach umzusetzen. Es gibt dort natürlich auch Kindergärten, aber das Bild vom Kind in Frankreich, der allgemeine Erziehungsstil, ist ein prinzipiell anderer, als wir es in Deutschland haben. Im Vergleich ist der ziemlich altmodisch. Außerdem haben unsere Freunde uns irgendwann einfach ganz schrecklich gefehlt. Finn-Ole und ich, wir beide haben unsere besten und ältesten Freunde in der Hauptstadt. Dementsprechend war der Umzug zurück nach Berlin ein naheliegender.

Q
Ich möchte noch mal kurz an deine Kindheit im Norden andocken. Wenn ich es richtig verstanden habe, fand ein großer Teil deiner Sozialisation im Kino deines Opas statt, richtig?

A
Stimmt. Aber das muss man nicht romantisieren, das war so ein recht kleines, altes, plüschiges Provinzkino … Was übrigens aber immer noch im Besitz der Familie ist. Ich war damals bereits - und bin es immer noch - eine ganz große Filmliebhaberin. Immer wenn ich bei meinen Großeltern war, hat es mich ins Kino verschlagen und teilweise habe ich mir denselben Film dreimal hintereinander angeschaut. Ich habe in diesem Kino Stunden verbracht. Die Auswahl an Filmen war jetzt nicht besonders groß, aber das hat mich in keiner Weise gestört. Oft hat mich meine Cousine begleitet und ich habe dann immer damit geprahlt, dass ich alle Texte auswendig kann - und zum Leidwesen der anderen Zuschauer, die nur in Ruhe den Film schauen wollten, auch die Songs aus den Disney-Filmen. Das alles war aber gar nicht mondän oder so, aber klar, eigentlich träumt fast jedes Kind davon, unbegrenzt Zeit im Kino verbringen zu können. War schon toll. Vor allem, weil ich mich ja auch immer an der Schlange am Eingang vorbeimogeln konnte. Vermutlich war das Kino meines Opas die Wiege dafür, Geschichten erleben und erzählen zu wollen.

Q
Du hast ja, bevor du als Buchautorin bekannt wurdest, Theaterstücke geschrieben. Wie landet man denn beim Theater, wenn man von klein auf eigentlich für’s Kino brennt? Innerhalb der kulturellen Systematik gehören Theater und Film vielleicht zur selben Gattung, in der Praxis sind das jedoch zwei völlig verschiedene Baustellen … 

A
Absolut richtig. Und ehrlich gesagt habe ich nach wie vor vom Theater recht wenig Ahnung. Es gab keinen frühen Kontakt, meine Eltern hatten keinen wirklichen Bezugspunkt dazu. Diese Kunstform war für mich unzugänglich … Und ein kleines bisschen verhält es sich immer noch so. (Lacht) Vielleicht liegt es schlichtweg daran, dass ich vom Dorf komme, wer weiß? Im frühen Erwachsenenalter hatte ich Freundinnen, hier in Berlin, die nicht allein Schauspielerinnen werden wollten - sondern Theaterschauspielerinnen. Dadurch hat sich meine Hemmschwelle deutlich minimiert, da ich nicht bloß Teil des Publikums war, sondern auch einen Einblick hinter die Kulissen bekommen habe. Da habe ich dann gemerkt, dass Theater eigentlich auch ziemlich cool ist, da es ja auch nichts anderes macht, als Geschichten zu erzählen. Der Zugang war also endlich da … Aber Ahnung habe ich nach wie vor Null. Im Vergleich zum Film erscheint mir Theater wie ein abgeschlossener Raum. Als ich dann zusammen mit meinem Mann die ersten Stücke geschrieben hatte – Stücke für Erwachsene sowie Stücke für Kinder und Jugendliche – und diese dann aufgeführt wurden, war das natürlich eine ganz besondere, coole Erfahrung, da unsere Geschichte dann auf der Bühne von anderen Menschen, die ihre eigenen Ideen und Interpretationen mit reinrühren, erzählt wird.

Q
Und was hast du aus der Theatererfahrung mitnehmen können, – außer dass deine Distanz zum Medium nun deutlich geringer geworden ist?

A
Eine kleine Fremdheit wird immer bleiben, glaube ich. So richtig geschmeidig ist unser Verhältnis nicht. Das ist aber weder schlimm noch kontraproduktiv. Man sollte die Leute einfach machen lassen und nicht erst ihr Repertoire abklopfen, um zu checken, ob sie denn überhaupt befugt sind, in dem Bereich was verhandeln zu dürfen.

Q
In den letzten zwei Jahren kam das öffentliche kulturelle Leben ja praktisch zum Stillstand beziehungsweise musste es neu gedacht werden. Wie hast du die letzten beiden Jahre erlebt? War die neue Realität eher erdrückend oder wirkte sich diese durch die zwangsverordnete Extra-Studio-Quality-Time vielleicht sogar befruchtend aus?

A
Die größte Schwierigkeit war eigentlich, dass eine Betreuung unseres Kindes vonseiten des Kindergartens oft nicht garantiert werden konnte, was das Arbeiten logischerweise extrem erschwert hat. Wenn man zum Schreiben kam, ging das dann aber glücklicherweise recht einfach von der Hand. Viel nerviger war der Umstand, dass Lesungen viel zu oft zu- und wieder abgesagt werden mussten. Was sich auch eher merkwürdig angefühlt hatte, war die Sache mit den Auszeichnungen. „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ erschien 2019 … und 2020 wurde ich dafür unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis sowie dem Korbinian-Paul Maar-Preis ausgezeichnet. Aufgrund der Pandemie gab’s keine offiziellen Zeremonien, was ich rückblickend eher Schade fand, da ich solche Preise garantiert kein zweites Mal gewinnen werde. Ist aber natürlich trotzdem großartig, mit solchen Auszeichnungen bedacht zu werden, da war die Freude trotz allem ungetrübt! Und es tut gut zu hören, dass die Verkäufe für Kinder- und Jugendbüchern während dieser Zeit angestiegen sind.

Q
Wenn man diese Art von prestigeträchtigen Auszeichnungen erhält, verändert sich da merklich was? Klingelt das Telefon häufiger als gewöhnlich? 

A
Das wäre unter normalen Umständen bestimmt so gewesen … Aber zu besagtem Zeitpunkt, das waren praktisch die Anfänge der Pandemie, waren alle mehr oder weniger in einer Art Schockstarre gefangen. Man war zu überrascht darüber, dass die Dinge nicht mehr so laufen, wie man es gewohnt war. Es gab noch keine konkreten Pläne darüber, wie man bestimmte Ideen alternativ umsetzen könnte. Dementsprechend ist da gefühlt gar nichts passiert. Der Verkauf wurde vielleicht ein wenig stärker angekurbelt, aber das war’s dann auch. Mit dem neuen Buch verhält es sich ein wenig anders, da man sich mittlerweile auf die Situation einstellen konnte. (Lacht) Aber ich kann auch keine wirklichen Vergleiche anstellen, da ich vorher ja noch nicht diese Art von Preisen gewonnen hatte … ich bin deswegen nicht frustriert, alles cool.

Q
Wir sollten nun auch langsam mal anfangen, konkret über deine Bücher zu reden, oder? Angefangen hat es ja mit „Monsta“, für das du mit dem Künstler Mateo Dineen zusammengearbeitet hattest. Kanntet ihr euch bereits aus dem Neuköllner Kiez, oder wie kam die Kollaboration zustande?

A
Nee, so war das nicht. Ich kannte ihn persönlich gar nicht, war aber mit seinen Arbeiten vertraut, da ich mich ja, wie bereits gesagt schon mal für längere Zeit in Berlin niedergelassen hatte. Als ich „Monsta“ schrieb, wohnten wir noch in Frankreich. Finn und ich überlegten, wer diese Geschichte am besten illustrativ umsetzen könnte – und da Mateo wohl der größte Monsterexperte der Welt ist, war er eigentlich sofort erste Wahl. Ich hatte mir ehrlich gesagt keine allzu große Hoffnung gemacht, dass er sich für das Projekt begeistern würde … Aber ich habe ihn dann ziemlich hart bearbeitet, und so konnte er irgendwann gar nicht anders, als zuzusagen. Das Kiez-Ding wäre natürlich eine prima romantische Geschichte, aber das lief alles via E-Mail und Telefon.

ACHTUNG!

Q
Der große Durchbruch kam dann mit „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“. Hat es lange gedauert, Lucies Stimme aus deinem Kopf zu bekommen? 

A
Bei mir ist das so, dass ich bewusst in diese Welt, in diese Geschichte eintauche, sowie ich mit dem Schreiben beginne … Und wieder auftauche, nachdem ich den Rechner runtergefahren habe. Klar, während ich an dem Buch gearbeitet habe, gab es immer wieder Alltagssituationen, in denen ich mich schon manchmal fragte, wie Lucie darüber nachdenken würde. Was hätte sie dazu zu sagen? Was würde sie empfinden? Aber das ist kein omnipräsenter Zustand - vielmehr steige ich in ihren Kopf ein, wenn ich mit dem Schreiben fortfahre.

Q
Lucies Welt ist ja eigentlich dreigeteilt: Da gibt es zum einen die Familiensituation, zum anderen die Schule und schließlich die Zeit, die sie mit Klinge verbringt. Welche Welt war der Ausgangspunkt für dich, womit hat alles angefangen?

A
Es fing tatsächlich nur mit Klinge an … Da gab’s Lucie noch nicht einmal. Ursprünglich hatte ich eigentlich die Idee, ein Kochbuch zu schreiben, was nicht bloß Rezepte wiedergibt, sondern zudem eine Geschichte erzählt. In diesem Prozess hat sich auf einmal Klinges Welt geformt, er hat plötzlich eine Stimme bekommen - jemand, der solch höchst merkwürdigen Rezepte zu Papier bringt, muss irgendwie auch grumpy und dezent schräg drauf sein. Das war der Ausgangspunkt, das hatte ich zuerst geschrieben. Und da diese Person nicht wirklich zugänglich oder gar angenehm erscheint, braucht sie jemand an der Seite, die diese Schale vielleicht ein wenig aufbricht … Und so kam Lucies Figur mit ins Spiel. Ihre Sicht, ihr Leben, das alles wurde dann schnell der eigentliche Schwerpunkt der Geschichte.

Q
Da sich die eigentliche Story während des Schreibens entwickelte, frage ich mich, ob es irgendwann den Punkt gab, wo die eigentliche Zielgruppe klar war? Entscheidest du dich bewusst dafür, eine Geschichte für Jugendliche erzählen zu wollen?

A
Null. Zumindest bei mir ist es überhaupt nicht so, dass ich im Vorfeld bereits eine Zielgruppe festlege. Es ist die Geschichte oder die Figur, die mich interessiert, die ich dann verfolge. Am Ende ist es dann für irgendjemand - aber das bestimme nicht ich. Im Zweifelsfall bestimmt das der Verlag, dort wird eine bestimmte Altersvorgabe festgelegt. Ich will und kann gar nicht definieren, wer ab welchem Alter was lesen sollte. Ich möchte einfach nur etwas Cooles für alle auf die Welt bringen und bestenfalls ist das komplett losgelöst von Altersbeschränkungen - was aber nicht heißen soll, dass alle das auch mögen müssen. Ich finde die gängige Unterteilung in Kinder- und Jugendliteratur und Erwachsenenliteratur ehrlich gesagt ein wenig absurd. Bedeutet das, dass ich als Erwachsener nur noch Dinge toll finden darf, die meinem Alter vermeintlich gerecht werden? Und warum gibt es dann keine Rentnerliteratur? Ich finde es schade, dass man vieles bereits im Vorfeld mit einer Klammer versieht, dass man vieles begrenzt. Und warum will man das eigentlich unbedingt wissen, ob das nun für Jugendliche oder für Erwachsene ist? Klar, da gehts auch um Verkaufsargumente … Aber ich versuche für mich, diese Dinge erst einmal auszuklammern.

„Die Realität von Kindern ist doch, dass sie noch nicht jedes Wort verstehen, im Gegensatz zu Erwachsenen damit jedoch sehr gut klar kommen.“ 

Q
Weil sonst zu schnell die Schere im Kopf zu arbeiten beginnt?

A
Das Problem habe ich glücklicherweise nicht … Das wäre dann die Aufgabe des Lektorats, des Verlags. Im Zweifelsfall versuche ich eher mich gegen diese Dinge zu wehren. Wenn gesagt wird, dass diese oder jene Formulierung von der Zielgruppe nicht zu verstehen wäre, dann wirds für meinen Geschmack zu verknotet und verkopft. Wenn man vom Start weg versucht, etwas auf eine bestimmte Zielgruppe zurechtzuschneiden, hat man eigentlich schon verloren - völlig egal was man macht. Ich verstehe natürlich, was hinter bestimmten Anmerkungen und Entscheidungen steht, aber in letzter Konsequenz macht es das Resultat nicht wirklich besser, wenn man zwanghaft versucht, etwas zurechtzuschneiden.

Q
Oft endet so was dann ja auch in einer fast schon klebrigen Verniedlichung …

A
Das ist ebenfalls übel. Ich finde es ein wenig anmaßend zu denken, verstanden zu haben, was diese Zielgruppe braucht oder versteht oder will. Aber nicht, dass wir uns hier missverstehen: Mein Verlag gibt mir bislang nicht das Gefühl, auf irgendwas Bestimmtes achten zu müssen. Aber unabhängig davon finde ich es nicht notwendig, wirklich jedes Wort in seiner Bedeutung verstehen zu müssen, um der Geschichte folgen, um sie verstehen, um sie mögen zu können.

Q
Zudem sollte man nicht vergessen, dass es Erwachsenen ja ebenso geht … Auch die verstehen ja bei Weitem nicht jedes Wort, das sie aufnehmen.

A
Ganz genau. Man kann sich doch trotzdem mit den Figuren verbinden und verbunden fühlen. Die Realität von Kindern ist es doch, dass sie noch nicht alles verstehen - im Gegensatz zu Erwachsenen damit jedoch sehr gut klar kommen. Wichtig bei Geschichten, egal ob ich jede noch so kleine Wendung mitbekomme oder halt nicht, ist doch, dass der Gesamteindruck dadurch nicht verändert wird. Egal welches Alter man hat, man stürzt sich doch eh auf die Sachen, die man am meisten mag, oder? Ich bin jedenfalls eine erklärte Gegnerin davon, Sprache runterzuschrauben, damit die Zielgruppe glücklich ist … So einfach verhält es sich nun mal nicht.

ACHTUNG!

Q
Für „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ hast du mit der Illustratorin Ràn Flygenring zusammengearbeitet und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, kanntet ihr euch bereits, richtig? 

A
Wir kannten uns, da sie bereits mit Finn zusammengearbeitet hatte. Ich habe dem Verlag vorgeschlagen, dass es doch klasse wäre, wenn sie auch meine Geschichte bildlich umsetzen würde … Und glücklicherweise kannten sie ihre Arbeiten bereits und waren sofort einverstanden. Für mich ist das große Glück beim Schreiben, wenn ich mir jemand suchen darf, der dann die Sachen illustriert. Das ist durchaus nicht der gängige Weg, im Normalfall sucht der Verlag meist einen Künstler, der ihrer Meinung nach gut dazu passt. Für mich ist das jedoch ein total wichtiger und total schöner Faktor, dass Text und Bild im Resultat etwas Neues bilden … Und das dies bestenfalls mit einer Person entsteht, die man kennt, deren Arbeiten man schätzt und mit der man sich über Geschichte und Figuren austauschen kann.

Q
Mit Bea Davies, die ja die tollen Illustrationen für dein neustes Buch „Brummps - Sie nannten ihn Ameise“ gestaltet hat, verhielt es sich vermutlich ganz ähnlich, oder? 

A
Bea, die ja ebenfalls in Berlin wohnt, wurde mir über eine Bekannte vorgestellt und nach dem ersten Austausch über das Buch war mir eigentlich bereits klar, dass ich sehr gerne mit ihr an “Brummps“ arbeiten würde. Der Verlag hat uns glücklicherweise komplett freie Hand gegeben und uns vertraut, dass wir die richtige Lösung dafür finden werden, wie Text und Bild am besten zusammenfinden. Um es kurz zu fassen: Am Ende waren alle Beteiligten höchst glücklich über das Ergebnis.

Q
Auch wenn Protagonisten sowie Art und Weise der Erzählung auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten, werden „Brummps“ und „Wahnsinn“ durch das Außenseitertum seiner Charaktere verbunden. Woher rührt eigentlich dein Faible für Outsider-Geschichten?

A
Puh, das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht … Ich kann Dir nicht einmal bestätigen, dass ich bewusst eins habe. Was ich Dir sagen kann, ist, dass mir sowohl Jonny wie auch Lucie sehr am Herzen liegen, also ist an Deiner Behauptung vielleicht was dran. Die Idee hinter „Brummps“ war, dass es da ein Tier gibt, was im Glauben aufwächst, etwas zu sein, was es gar nicht ist und diese Idee hatte ich bereits vor ein paar Jahren, hatte sie aber nie wirklich weiter verfolgt.

„Wenn man vom Start weg versucht, etwas auf eine bestimmte Zielgruppe zurechtzuschneiden, hat man eigentlich schon verloren - völlig egal, was man macht.“

Q
War es denn von Anfang an klar, dass die Geschichte im Insektenreich spielen wird? Mein Sohn war beispielsweise ganz beseelt davon, dass endlich mal ein Mistkäfer irgendwo die Hauptrolle spielt …

A
Das war tatsächlich von Anfang an klar. Ich hatte mir zunächst überlegt, dass ich für die Geschichte Insekten brauche, die sich zumindest irgendwie ein bisschen ähnlich sind, damit diese Verwechslung überhaupt stattfinden kann, aber unterschiedlich genug, dass es zu Problemen führt. Ich weiß allerdings nicht mehr genau, ob mir zunächst die Idee kam, dass Ganze unter Ameisen spielen zu lassen, oder dass der Protagonist ein Mistkäfer ist. Ameisen sind ja irgendwie auch faszinierende Tiere, wenn man sich mit ihnen beschäftigt.

Q
Mir sind die ehrlich gesagt fast ein wenig unheimlich, die sind mir komplett zu organisiert und dominant …

A
Ich habe mal gelesen, dass die Biomasse aller Ameisen auf der Welt, die aller Menschen auf der Welt deutlich übersteigt,… was ja total krass ist! Generell verfügen sie über Fähigkeiten, die gemessen an ihrer Körpergröße schier unglaublich sind. Die sind schon speziell drauf. Ich fand die Idee interessant, dass in einem derartig gut organisierten Staat jemand hereinplatzt, der dort weder körperlich noch von seinen Gedankengängen so wirklich hineinpasst. Was mir gerade noch einfällt: Ein Grund, warum die Geschichte mit Insekten besetzt ist, könnte sein, dass ich früher ein großer Fan von Animationsfilmen wie „Antz“ oder „Das große Krabbeln“ war.

Q
Da wir ja wieder beim Thema Film gelandet sind: Gibt es denn eigentlich bereits Pläne, Lucies Geschichte zu verfilmen? Meiner Meinung nach schreit das Buch doch geradezu nach einer Adaption fürs Kino …

A
Nee, nicht, das ich wüsste… wäre aber mega! So sehr, wie ich das Kino auch liebe, mir ist klar, dass es wahnsinnig kostspielig ist, einen Film zu realisieren. Und im momentanen Klima überlegt man sich vermutlich dreimal, welche Projekte man möglichst gewinnbringend umsetzen kann. Ich bin mir nicht sicher, dass „Wahnsinn“ diesen Ansprüchen gerecht werden kann. Wenn ich schreiben will, setze ich mich einfach hin, fang an, und nach relativ kurzer Zeit ist die Geschichte zu Ende gebracht. Beim Film ist das anders, das ist alles so zeitintensiv und kompliziert.

Q
Ok, abschließend dann noch die Frage, ob dein Ehemann der erste Filter ist, durch den deine Geschichten gehen? 

A
Voll! Am liebsten im Tagesrhythmus. Ich brauch das auch total, relativ regelmäßig Rückmeldung von ihm zu bekommen … Vielleicht auch, weil ich das Bücherschreiben ja auch noch gar nicht so lange mache. Ich könnte mir auch gar nicht vorstellen, wochenlang abzutauchen, um dann etwas halbwegs Fertiges zu präsentieren … Und der oder diejenige sagt dann: „Na ja, so mittel“. Ich glaube, ich bin eher jemand, der gerne jemand am Rand hat, der einen permanent anfeuert – und das kann Finn perfekt, das macht er großartig. Es ist natürlich auch ein großes Glück, dass er immer so nah dran ist, dass wir uns während des Arbeitsprozesses austauschen können. Das klappt umgekehrt mit seinen Büchern auch ganz hervorragend. Es gibt bestimmt Autoren, die können das super gut, sich Wegsperren um an einem neuen Buch zu arbeiten … ich gehöre definitiv nicht zu dieser Gruppe, ich brauche stetigen Austausch.

Q
Dementsprechend konnte euer Verlag wohl auch nur Huckepack heißen …

A
Klar, wobei der Gedanke schon ist, dass wir nicht allein uns Huckepack nehmen, sondern auch gerne andere Menschen, von denen wir dann die Bücher veröffentlichen dürfen.

Q
Ich kann es mir vermutlich selbst erklären, frage aber trotzdem mal nach: Warum kommt denn ein Buch wie „Brummps“ nicht bei Huckepack heraus, sondern bei einem recht großen, etablierten Verlag?

A
Ich find die Frage gar nicht so abwegig,… es war auch anfangs keine so klare Entscheidung, wo das Buch veröffentlicht wird, da wurde eine Zeit lang mit beiden Möglichkeiten geflirtet. Was ich sagen kann, ist, dass es die richtige Entscheidung war, dass „Brummps“ nun bei Hanser erschienen ist – das find ich total klasse. Bei der Zusammenarbeit mit einem Verlag hilft es mir, an einem gewissen Punkt die Sachen einfach abgeben und damit loslassen zu können. Das Verlagsteam schiebt das Ganze dann an, kümmert sich um den Druck, um die Werbemittel und so weiter. Die bezahlen das alles ja auch, tragen damit auch das Risiko und verdienen dementsprechend auch mehr als ich. Ist aber auch ok, so muss es ja eigentlich auch sein, wenn man die Verantwortung ab einem gewissen Punkt übernimmt. Ich finde diese Art von Arbeitsverhältnis recht entspannend, um ehrlich zu sein. Verlagsarbeit adäquat umzusetzen, das ist ein ziemlich großer Apparat und ich bin froh, den nicht bei jedem neuen Projekt selbst in Bewegung setzen zu müssen. Die Freiheit, die wir mit Huckepack haben, die selbe Freiheit genieße ich bis zu einem gewissen Grad auch bei Hanser. Der Unterschied: Mit Huckepack wollen wir uns den Luxus erlauben, unabhängig gängiger Release-Zyklen, tolle Sachen zu veröffentlichen - nicht allein unsere Ideen, sondern auch die von anderen Autor*innen und Illustrator*innen, die wir schätzen. Das ist alles sehr Herz-gesteuert und weniger von Marktlogik. Wir wollen unser Glück daraus ziehen, dass diese Bücher nun auf der Welt sind. Wir haben vielleicht den Nachteil, dass wir damit nie viel Geld verdienen werden, aber den Vorteil, uns nie klar positionieren oder definieren zu müssen, was für’ne Art von Verlag wir denn nun eigentlich sind. Wir wollen mit Huckepack das machen, worauf wir Bock haben - und das können ziemlich unterschiedliche Dinge sein. Das ist jetzt vielleicht nicht zwingend der beste Businessplan, aber ich weiß, dass es uns so viel glücklicher macht.