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LISA ENGELS : Geister wie du und ich
Nahezu jeder kennt das: Kaum ist das Licht erloschen, scheint die eigentlich vertraute Umgebung plötzlich ein schauriges Eigenleben zu entwickeln. Das Knarren des Dielenfußbodens im Nebenraum wirkt plötzlich alarmierend, der Schattenwurf an der Wand wenig vertrauenserweckend. Und war die angelehnte Schranktür nicht gerade noch geschlossen? Unsere stark ausgeprägte Fantasie wird nicht müde, den in der Dunkelheit geschärften Sinnen permanent Streiche zu spielen. Doch was, wenn einem das Paranormale das Herz erst so richtig aufgehen lässt? Was, wenn die Kreaturen, die im Schatten lauern, eigentlich auch nur Monster wie du und ich sind? Das alles - und noch viel, viel mehr - wird in Lisa Engels Debütroman „Nelson Schreck - Gruselkunde für Anfänger“ geklärt.
Lisa Engels wurde 2017 und 2018 als Übersetzerin für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und zeichnet sich unter anderem für die deutsche Fassung der beliebten Comic-Reihe „Böse Jungs“ verantwortlich. Ende Februar erschien mit „Nelson Schreck“ nun ihr erstes eigenes Werk - mit dem ihr ad hoc dann auch gleich ein ziemlich großer Wurf gelungen ist. Die Geschichte entführt uns in die Geisterwelt, die sich eigentlich nicht groß von der unseren unterscheidet, da es auch dort jede Menge Regeln gibt und man die Schulbank drücken muss. Eines Tages lässt sich unser Titelheld zu einer Mutprobe hinreißen, landet via unsichtbarem Aufzug in der Menschenwelt, trifft dort auf das Mädchen Lilly - und das Chaos nimmt seinen Gang. Denn Lilly ist ein echter Fan vom Schaurig-Übernatürlichen und folgt Nelson, zusammen mit ihrem geliebten Werschweinchen Schlotti, in seine Welt.
Der schaurig-schöne, turbulente und vor allen Dingen lustige Kinderroman verbindet mit schlafwandlerischer Sicherheit Spukgeschichte mit Coming of Age Story, Verschwörungskrimi mit dem Hauptschauplatz Schule - und so braucht es nur einige wenige Seiten und man ist mittendrin in Nelson Schrecks Universum, fühlt sich dort pudelwohl und merkt gar nicht, dass man wieder einmal deutlich länger vorgelesen hat, als man eigentlich wollte. Toll.
Wir hatten die Möglichkeit, uns mit Lisa im Spätsommer über ihren Beruf als Lektorin bei Bastei Lübbe, ihren Debütroman, das Schreiben und vieles mehr zu unterhalten - und dankenswerterweise war es nahezu unmöglich, sich nicht von ihrer positiven und quirligen Art anstecken zu lassen. Besten Dank dafür!
Lisa, Du lebst und arbeitest ja in Köln … bist du eigentlich auch in NRW groß geworden?
Hoffnungsthal groß geworden … das klingt von Grund auf sympathisch und darum sag ich das auch immer so gerne.
Ich bin im schönenIch hab nicht die leiseste Ahnung, wo das liegen könnte.
(Lacht) Ist auch sehr klein, eher ein besseres Dorf vor den Toren Kölns.
Die Rheinländer, die ich kenne, fühlen sich prinzipiell sehr mit ihrer Heimat verbunden. Geht’s Dir ähnlich oder war es eher Zufall, dass du in Köln studiert hast?
Dein Werdegang ist dann ja ziemlich stringent verlaufen, richtig?
Ich wollte auf jeden Fall etwas mit Buchstaben, mit Worten und Geschichten machen, das war klar. Ich hatte mich zwischendurch dann auch im Journalismus ausprobiert, aber das war mir … zu realistisch. Da gibt es im Zweifelsfall zu wenig positive Geschichten, die geschrieben werden müssen. Auf’s Lektorat bin ich eher durch Zufall gestoßen, da wusste ich zunächst eigentlich gar nicht, dass es so etwas gibt. In diesem Bereich habe ich dann bei Bastei Lübbe mein Praktikum gemacht, gefolgt von einer ähnlichen Tätigkeit bei Schneiderbuch als Werkstudentin. Ich hatte noch nicht mal meinen Bachelor abgeschlossen, als mich mein jetziger Chef anrief und fragte, ob ich nicht Lust auf ein Volontariat hätte. Von außen betrachtet wirkt das deswegen vermutlich, als wäre ich super zielstrebig auf dieser Position gelandet.
Woher rührt denn deine Affinität für das Geschichtenerzählen? Kannst du das bewusst festmachen?
Ich arbeite einfach gerne kreativ und ich schreibe gern, da kam dann schnell eins zum anderen. (Lacht) Ich bilde mir auch ein, eigentlich ziemlich viele gute Ideen zu haben, die ich am liebsten schnellstmöglich umgesetzt sehen möchte.
Wie fühlt es sich denn eigentlich an, für seine Arbeit an der Comic-Reihe „Böse Jungs“ in so jungen Jahren bereits für den Deutschen Jugendbuchpreis in der Kategorie “Übersetzung“ nominiert worden zu sein?
Am Anfang habe ich das gar nicht glauben können. Ich dachte zunächst, man will mich auf den Arm nehmen. Ich hatte das während meiner Volontariatszeit übersetzt …. Ich hatte Übersetzungen ja in der Uni als Kurs, hatte bis zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nichts professionell übersetzt. Ich führe das nach wie vor darauf zurück, dass der „Böse Jungs“-Originaltext bereits derartig witzig ist, dass man eigentlich nicht mehr wirklich viel falsch machen konnte. Es war dementsprechend auch nur eine Frage der Zeit, bis das verfilmt wird.
Adaption gefallen?
Näher dran am Thema als du kann man ja eigentlich gar nicht sein. Daher: Wie hat dir denn dieAch, der Film macht schon extrem viel Spaß. Da ich aber so nah an den Büchern bin, muss ich das natürlich ein wenig kritischer betrachten und da ist mir sofort aufgefallen, dass sie Elemente aus den ersten vier Bänden genommen haben, um das neu in nur einem Film zu verwurschteln … als Fan kann man das Resultat dann mögen, muss man aber nicht. Egal, der Film macht Spaß, ist angenehm frech … aber eine Sache fand ich dann doch recht merkwürdig: Die bösen Jungs sind immer noch tierische Charaktere, alle anderen darum herum sind jedoch Menschen - das ist in den Büchern komplett anders, da wird eine komplett anthropomorphe Tierwelt entworfen.
Fiel dir der Einstieg ins Übersetzerfach einfach, da dir bereits vorher Comics nicht fremd waren?
Ich lese schon gern Comics, beschäftige mich auch jetzt gerade wieder viel damit. Durch meinen Papa habe ich beispielsweise schon recht früh diese Zack Hefte gelesen, dort werden ja mehrere Geschichten kompiliert und im Fortsetzungsformat präsentiert. Ich erinnere mich noch, dass ich bei manchen Geschichten beispielsweise mochte, wie dort mit Sprache umgegangen wird. Das war ganz anders, als ich es aus anderen Comics kannte … und viel näher an mir dran, da ich auch die Tendenz habe, oft ein wenig zu flapsig zu reden - (lacht) obwohl ich mir jetzt gerade große Mühe gebe, dies nicht zu tun.
Durch das Volontariat und der späteren Festanstellung bei Bastei-Lübbe war es dann schnell klar, dass, gesetzt des Falles du würdest dich selbst an einem Buch versuchen, es auch nur dort veröffentlicht werden sollte?
Hier bei uns im Lektorat haben wir uns dann viel mit Erzähltheorie beschäftigt, mit Methodiken, wie man Bücher am besten schreibt und lektoriert. Und auf diesem Weg habe ich eine Methode gefunden, die mir persönlich komplett eingeleuchtet hat: Safe the Cat! Das ist eigentlich eher für Drehbücher gedacht, aber mittlerweile gibt es das auch für Romane. Es geht darum, Bücher in 15 Abschnitte zu unterteilen … (lacht) und natürlich um ganz viel mehr. Auf jeden Fall hatte ich den ganzen Prozess plötzlich verinnerlicht und dachte mir, dass ich vielleicht doch noch mal einen Versuch unternehmen sollte, ein Buch zu schreiben.
Im Team haben wir oft Brainstorming-Termine, wo wir einfach Ideen austauschen, egal wie merkwürdig diese auch zunächst erscheinen mögen. Dort hatte ich dann mal einen Geist, der in einem unsichtbaren Aufzug herumdüst erwähnt, was der Rest des Teams irgendwie ganz cool fand. Daraufhin habe ich dann ein Exposé geschrieben - ursprünglich, um es gegebenenfalls an professionelle Autoren weiterzugeben. Stattdessen wurde ich gefragt, ob ich es nicht selbst versuchen möchte. Und das habe ich dann auch getan - das Ergebnis nennt sich „Nelson Schreck“ und ist mein erster Roman im Kinderbuch Segment.
Wie lange brauchte es dann, vom Exposé bis zur ersten Rohversion?
Ich habe mich vier Monate lang nur um den Plot gekümmert, dann an der Kapitelübersicht gefeilt - und schließlich das ganze in sechs Wochen geschrieben. Ich wusste zu dem Zeitpunkt ganz genau, was zu welcher Zeit mit welcher Intention passiert, darum ging es dann schlussendlich recht flott.
Wow, ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass man dafür nicht freigestellt wird, sondern dass dieser Vorgang nach der eigentlichen Arbeit im Lektorat stattgefunden hat?
Das ist richtig. Und am Wochenende natürlich. Ich kann auch nicht behaupten, dass es nicht anstrengend gewesen wäre. Während meiner eigentlichen Arbeit sitze ich ja bereits permanent am Bildschirm und lese Texte von anderen Leuten. (Lacht) Im Homeoffice konnte ich dann wenigstens gleich sitzen bleiben und mich dem Buch widmen. Am wenigsten macht es Spaß, wenn man nicht genau weiß, wie die Geschichte weitergeht, denke ich … wenn man dann plötzlich zusätzlich kreativ gefordert ist. Aber glücklicherweise hatte ich dieses Problem ja nicht wirklich, da meine Vorbereitung bereits sehr gründlich war.
Ist es dir als Lektorin eigentlich schwer gefallen, die fertige Geschichte in fremde Hände zu geben, wo es dann gegebenenfalls Diskussionen um vermeintliche Verbesserungen gibt?
Nein, das ist mir gar nicht schwergefallen. Eine liebe Kollegin hat „Nelson Schreck“ lektoriert und einen tollen Job gemacht. Da ich ja vom Fach bin, weiß ich ja auch, dass ein Lektorat einen nichts Böses will, keinen Stempel aufdrücken möchte oder Ähnliches. Ich bin mir zudem ziemlich sicher, dass ein zweiter Blick einen Text immer besser macht. Zudem sind die Anmerkungen des Lektorats ja auch nicht bindend, und manche Anmerkungen, mit denen ich nicht komplett einverstanden war, wurden von mir dann auch gar nicht umgesetzt. (Lacht) Was ich aber zugeben muss, ist, dass ich eigentlich davon ausgegangen bin, dass ich es gar nicht mag, wenn da jemand an meinem Text rumdoktern möchte.
Was mir an an Deinem Buch so gut gefallen hat ist, dass man aufgrund der Synopsis ja eigentlich denkt zu wissen, welche Art von Geschichte einen erwartet. Das mag in gewisser Weise auch zutreffen, aber trotzdem ist die Story ja noch so viel mehr, das ist ja nicht nur eine moderne Geistergeschichte, da ist ja auch ordentlich Coming of Age und sogar Verschwörungskrimi drin …
Was ich wahnsinnig gerne gelesen habe, ist zum Beispiel „Lockwood & Co“, generell mag ich Fantastisches sehr gerne - dass muss auch gar nicht immer mit’nem Gruselfaktor besetzt sein. Pixars „Monster AG“ hat definitiv auch bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, da die Idee, über besondere Türen in die Welt der Menschen zu gelangen, um aus deren Schreien - oder später Gelächter - Energie herzustellen, einfach grandios ist. Man lässt sich also aus allen Richtungen inspirieren und versucht sein Bestes, etwas Neues daraus zu machen.
Was dir ja auch ganz hervorragend gelungen ist. Allein schon die Geisterwelt, die du entwirfst … diese ist klar im Fantastischen verortet, weist aber jede Menge Parallelen zu der unseren Welt auf. Mein siebenjähriger Sohn hat’s geliebt.
Ach, wie schön. Ich glaube, dass gerade jüngere Kinder so etwas brauchen, Orte, die ihnen irgendwie bekannt vorkommen, Figuren und Abläufe, mit denen sie sich identifizieren können. Der Einstieg in die Geschichte ist vielleicht noch ein wenig ungewohnt und gruselig, aber man merkt schnell, dass Nelson halt auch nur ein Schüler ist, der seine Probleme damit hat, sich im Alltag zu positionieren. Vielleicht geht es ihm allein darum, gemocht zu werden, Freunde zu haben und so akzeptiert zu werden, wie er nun mal ist.
Dein Buch liefert ja viele Steilvorlagen um daraus eine ganze Reihe zu basteln. Gibt es denn dazu vielleicht sogar bereits Pläne? Oder hast du zumindest schon Ideen, wie es weiter gehen könnte?
kürzere Geschichte über Nelson Schreck. Diese erreicht man, wenn man den QR-Code am Ende des Buchs scannt. Einen eventuellen zweiten Band, klar habe ich mich damit beschäftigt und mit einigen Möglichkeiten bezüglich des Plots herumgespielt … aber eine Fortsetzung ist bislang leider nicht geplant.
(Lacht) Die habe ich tatsächlich. Es gibt ja auch bereits schon eine kleine, deutlichDa wir bei Z&Z ja permanent auf der Suche nach dem besten Buch der Welt sind, muss ich dich zum Abschluss natürlich fragen, was ein eben solches für dich erfüllen müsste …
Was mich damals zum Lesen gebracht hat war „Eragon“, das ist eine Fantasy Reihe … vorher hatte ich definitiv nie Bücher mit solch einem Umfang gelesen, das hatte mich normalerweise immer eher abgeschreckt. In letzter Zeit mochte ich wie gesagt die „Lockwood & Co“ Bücher sehr gerne. Man muss an die Hauptfigur(en) anknüpfen können, auch wenn man selbst vielleicht ganz anders tickt. Natürlich muss mich auch die Geschichte fesseln und das beste Indiz dafür ist, wenn man Abends liest, am nächsten Tag in die Schule oder zur Uni oder zur Arbeit muss, währenddessen aber eigentlich die ganze Zeit an das Buch denkt und sich auf die Bahnfahrt zurück nach Hause freut, weil man dann endlich weiterlesen kann.
Gilt das auch für dich und eher klassische Erwachsenenliteratur?
Ich mag bei der Arbeit mit Kinderbüchern einfach auch, dass es mittlerweile eine Riesenauswahl in nahezu jedem Genre gibt. Natürlich gibt es aktuell in der Erwachsenenliteratur auch tolle Titel … wenn ich aktuell die Chance dazu habe, kuschle ich mich aber lieber mit einem Young Adult-Sci-Fi-Herzschmerz-Roman ein.