Auf der Suche nach dem besten Buch der Welt.
Interview

LUICIA ZAMOLO : read + watch + listen = grow

Von Nisan und Jessy

Schubladen helfen Dinge einzuordnen. – Für Besteck, Socken, Weihnachtsschmuck und anderen Krimskrams mag das stimmen. Doch wenn mensch auf Menschen trifft, liegt der brave Ordnungsmensch (OM) oft richtig daneben. Der OM meint jedoch, mit seinem „Wahrnehmungskommödchen“, die Weltordnung oder andere Vermessenheiten zu retten. Das ist natürlich Quatsch! 

Die Illustratorin Lucia Zamolo erzählt in ihrem Buch „Jeden Tag Spaghetti“ von solchen Beschränktheiten, die sie persönlich erlebt hat und immer wieder erlebt - von Alltagsrassismus, toxische Komplimente, Mikroaggressionen. Ihre Erfahrungsskizzen lassen sich nicht in Schubladen stecken. Sie sind humorvoll und anteilig traurig, kindlich leicht  aber auch erschütternd. Lucia Zamolo ist keine Lautsprecherin, aber hat eine starke Stimme. Sie schärft mit ihren Bildern und ihrer Handschrift die Sinne der Lesenden, auch mit ihren anderen Bücher. Jessy und Nisan von der Kepplerschule in Berlin-Neukölln trafen sich mit ihr zum Gespräch.

Q
Was hat Sie dazu bewegt, das Buch zu machen? Wie kamen Sie auf die Idee?

A
Mein Name klingt nicht typisch deutsch und ich laufe schon mein ganzes Leben mit ihm herum. Und in irgendeiner Weise werde ich fast täglich darauf angesprochen. Das war schon immer ein Thema in meinem Leben. Das Gefühl, das ich dazu hatte, habe ich erst später realisiert und konnte es dann irgendwann einordnen und benennen.
Der Anstoß für „Jeden Tag Spaghetti“ war eine Begegnung bei einer Preisverleihung bei der Frankfurter Buchmesse. Ich habe einen Preis für mein erstes Buch („Rot ist doch schön“/Bohem Press) bekommen und war ganz aufgeregt. Als ich von der Bühne kam, wurde ich von einer Frau angesprochen, die sagte, sie würde für irgendeine Zeitung schreiben. Ihre erste Frage war, wo ich herkomme. Ich sagte aus Münster, das ist eine Stadt in Nordrhein-Westfalen, ganz nah an der holländischen Grenze. Doch sie fragte nach, wo ich denn eigentlich herkomme. Diese Frage kannte ich. Ich fand das total nervig! Ich wollte nur mein Buch vorstellen, das gar nichts mit Herkunft zu tun hat. Und trotzdem werde ich wieder danach gefragt und es war dann auch Teil ihres Artikels. Das hat mich geärgert und war der Anlass für die Idee zu „Jeden Tag Spaghetti. Allerdings hat es dann noch gedauert, bis ich ein Buch daraus gemacht habe, weil ich das Thema erst mal für mich selber bearbeiten wollte. Ich musste überlegen, wie ich das Ganze überhaupt in ein Buch bekomme und welche Geschichten ich da hineinpacken möchte.

Q
Also in dem Buch geht es auch um das Zerrissensein zwischen zwei Kulturen. Fühlen Sie das immer noch?

A
Mal mehr, mal weniger. Es kommt ja oft die Frage, ob ich nicht auch stolz auf die zweite Kultur in meiner Familie bin. Ich möchte den Einfluss dieser anderen Kultur nicht kleinreden. Ich finde es auch total wichtig, dass man das lebt und zeigt, aber eben nicht darauf reduziert wird. Und die Zerrissenheit … ja, das kommt immer mal mehr, mal weniger vor. Aber ich versuche es eher, als etwas Positives zu sehen und nicht mehr als etwas Negatives. Ich möchte mir nicht den Druck machen, dass ich mich für irgendwas entscheiden muss, sondern zu sehen: Hey, ich bin beides. Das ist doch gut! Das ist einfach so

Q
Was hat Sie in Ihrer Kindheit am meisten verletzt? Falls Sie auf diese sensible Frage antworten möchten.

A
Hmm. Also es gibt viele kleine Situationen, die andere Menschen gar nicht so schlimm finden würden, die mich aber als Kind getroffen haben. Klar, ich weiß, dass andere Kinder und Jugendliche viel, viel schlimmere Sachen erlebt haben. Und es gibt Sachen, die eindeutig rassistisch sind! Da erkennt man sofort, dass die Einstellung der Person total blöd und schlimm ist. Die kann ich ablehnen und muss mich nicht darum kümmern.
Aber manchmal sind es so Kleinigkeiten, mit denen Leute einem zeigen, dass man vermeintlich anders ist. Als Kind haben sich zum Beispiel viele über meinen Namen lustig gemacht. Das hat mich sehr gestört. Damit bin ich nicht so gut zurechtgekommen. Mir wurden immer viele Spitznamen gegeben, die ich eigentlich nicht wollte, habe mich aber nicht getraut, was dagegen zu sagen.
Oder es gibt ein italienisches Getränk, dass mir meine Oma immer gemacht hat, wenn ich bei ihr war. Das war Pfefferminzsirup mit Wasser und ganz vielen Eiswürfel aufgefüllt. Und diesen Sirup haben wir dann auch aus dem Urlaub mit nach Hause gebracht. Wenn ich das Getränk stolz meiner Freundin oder andere Menschen serviert habe, die zu Besuch waren, und die gesagt haben, dass es wie Mundwasser schmeckt, hat mich das getroffen. Ich war enttäuscht, weil ich es so toll fand und es negativ abgetan wurde. Und wegen solcher Situationen habe ich manche Dinge, die als „anders“ wahrgenommen wurden, nicht mehr gemacht oder gesagt habe, weil ich nicht wollte, dass jemand es komisch finden könnte.

Q
Wurden sie auch im Erwachsenenalter schon mal ausgegrenzt?

A
Gute Frage. Ich persönlich wurde nicht ausgegrenzt– mir fällt zumindest keine Situation ein, die ich aktiv miterlebt hätte. Es war eher so, dass man aus mir etwas Besonderes gemacht hat oder etwas anderes machen wollte als ich bin. Italien wird in Deutschland als Land gesehen, das total toll ist. –Was ja auch so ist. Außer die politische Lage natürlich, die irgendwie gerne mal vergessen wird. – Aber als mir der Vorschlag gemacht wurde, in eins meiner Bücher zu schreiben, dass ich eine italienische Autorin bin, hat sich das unangenehm angefühlt. Es sollte quasi ein Aushängeschild vor mich gehängt werden. Ich sollte darauf reduziert werden.

Q
Was hätten sie sich von den Lehrerinnen in ihrer Schulzeit gewünscht? Sie greifen in dem Buch hier eine Situation auf, in der eine Lehrerin Ihnen ein toxisches Kompliment macht.

A
Ja, also natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Lehrerin sensibler gewesen wäre und das einfach nicht passiert. Vor allem eine Klassenlehrerin sollte sich mehr mit den Hintergründen ihrer Schüler*innen beschäftigen. Dann würde sie auch die Komplexität von einzelnen Schüler*innen verstehen und sie nicht abstempeln, wenn der Name nicht deutsch klingt und der Vater vielleicht auch einen Akzent spricht. Lehrer*innen könnten sich und ihre Urteile hinterfragen und sensibler sein. Und ja, sie sollten sich bewusst sein, dass sie Kindern und Jugendliche in der Schulzeit auch schaden können. Wie ich schon gesagt habe, solche kleinen Ereignisse können in so einem Alter manchmal ganz groß sein.
Als Schülerin kann ich vielleicht noch nicht reflektieren, wieso ich mich gerade schlecht fühle und weiß auch nicht, mit wem ich darüber sprechen soll. Vielleicht möchte ich davon auch zu Hause nicht erzählen, weil da gesagt wird: ja, das ist halt so, damit muss man leben.

Q
Glauben Sie, dass die Gesellschaft inzwischen sensibler mit dem Thema umgeht, insbesondere in der Schule?

A
Ich glaube schon. Ich kann zwar gerade nicht so gut über die Schule urteilen, weil ich selbst nicht mehr zur Schule gehe und dort auch nicht arbeite. Das könnt ihr viel besser sagen, wie ihr eure Situation gerade seht. Natürlich kommt es auch immer darauf an, wo man sich befindet. Ihr in Berlin/Neukölln, kann ich mir vorstellen, habt bestimmt eine sehr diverse Klasse und ganz verschiedene Hintergründe. An anderen Orten in Ostdeutschland gibt es sicher ein größeres Rassismusproblem. Oder wenn man vielleicht in ländlichen Gegenden schaut, wo es auch ein bisschen traditioneller zugeht. Das ist natürlich total unterschiedlich. Aber dadurch, dass viel mehr Menschen, Jugendliche und Schüler*innen so verschiedene Hintergründe haben, habe ich das Gefühl, gibt es immer mehr Stimmen, die sich auch trauen was zu sagen und versuchen Dinge richtigzustellen. Und das finde ich total toll und total wichtig.

Q
Was würden Sie sich wünschen, wenn Sie einen Wunsch freihätten?

A
Oh, unendlich viele Wünsche mehr! (lacht) Das darf man nicht, oder? – Hm … was würde ich mir wünschen? – Gerechtigkeit im großen Sinne. Ich glaube, damit ist viel abgedeckt. Es hat mich schon immer, auch in der Schule, total genervt, wenn Ungerechtigkeit passierte. Auch wenn sie nicht gegen mich gerichtet war, sondern generell. Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin irgendjemanden unfair behandelt hat oder jemand ausgeschlossen wurde, das konnte ich noch nie gut haben. In solchen Situationen musste ich immer etwas sagen und versuchen, mich dagegen einzusetzen. Ja, ich wünsche mir, dass alle die gleichen Chancen haben, in der Schule und allgemein im Leben. Egal, wofür man sich interessiert und wo man herkommt.