Auf der Suche nach dem besten Buch der Welt.
Interview

MATTHIAS WIELAND : Der Übersetzungseffekt

Von Jamilia, Gianluca, Emma und Ubeyda

Matthias Wieland ist ein Tausendsassa. Als Übersetzer, Redakteur, Podcast-Host, Moderator, Musiker, Sprecher und Comic-Vorleser ist er Gute-Stimmungsmacher in vielerlei Hinsicht. Seines Glückes Schmied sind – neben ihm selbst natürlich – der Zufall und die guten Menschen, die seine Wege kreuzten. Durch diese Begegnungen ist es ihm gelungen, seine vielfältigen Hobbys und Leidenschaften unter einen Hut zu bringen. Und die wären: Fußball, Comic, Musik, Schauspiel, Kunst, Literatur und Sprache (und wir haben bestimmt noch etwas vergessen).

Als Übersetzer hat Matthias Wieland das tolle Comic „Snapdragon“ von Kat Leyh aus dem Englischen übersetzt. Dabei ging es ihm, wie wohl den meisten, die das Comic zum ersten Mal lesen: Er war überrascht und er hat nicht mit dem gerechnet, was auf ihn zukommt. Emma, Ubeyda, Gianluca und Jamilia aus dem Redaktionsteam „Cracker“ waren superaufgeregt, als sie Matthias Wieland zu seiner Arbeit interviewen. Doch weil auch ihnen das Comic besonders gut gefallen hat, nahmen sie all ihren Mut zusammen. „Snapdragon“ hat sie zwischen all den magischen Momenten persönlich angesprochen.

Spannung, Spaß und Identifikationspotenzial bietet „Snapdragon“ also. Drei handfeste Kriterien, nachdem ein bestes Buch der Welt bewertet werden sollte. Kein Wunder, dass „Snapdragon“ für den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis nominiert wurde!

Q
Hallo, Herr Wieland! Schön, dass wir hier sind. Und danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.

A
Ja, ich freue mich auch. Ihr könnt, wenn ihr möchtet, auch du zu mir sage.

Q
Wir haben das Buch „Snapdragon“ gelesen und du hast es ja übersetzt. Das finde ich gut, weil wir nicht so gut Englisch verstehen können.

A
(Lacht) Genau deswegen habe ich es gemacht. 

Q
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Buch zu übersetzen?

A
Also in diesem Fall hat mich der Verlag gefragt. Mit diesem Verlag arbeite ich schon lange zusammen. Er heißt Reprodukt und ist ein Comicverlag. Es gibt ja viele alte, traditionsreiche Verlage. Die sind oft sehr groß und dort arbeiten hunderte Menschen. Im Comicbereich gibt es aber viele kleine Verlage und nur ganz wenig große. Reprodukt ist so dazwischen, ein großer kleiner Verlag. Dort arbeiten ungefähr acht Menschen und dazu ein paar wie ich, die manchmal helfen und sonst andere Sachen machen. Manchmal kriegt dieser Verlag Bücher und Hefte aus dem Ausland angeboten. Und bei „Snapdragon“ haben die Leute von Reprodukt wohl gedacht, dass das auch in Deutschland gelesen werden sollte. Deswegen sollte es übersetzt werden. Sie haben in ihrer Liste nachgeschaut und sich gefragt, wer wohl Zeit hat und wer dazu passen könnte. Und dann hat man freundlicherweise mich gefragt. So kam es dazu, dass ich dieses Buch übersetzt habe. Und es hat Spaß gemacht. 

Q
Wie findest du das Buch? 

A
Ich finde das Buch schön. Es hat mir schnell gut gefallen, weil ich die Sprache mochte, die Art und Weise, wie die Figuren reden. Und auch die Atmosphäre des Buches hat mir gut gefallen, also die Welt, in der die Geschichte spielt und wie sie aufgebaut ist. Ich wurde allerdings von der Autorin auf eine falsche Fährte gelockt! Dazu muss ich erzählen, wie ich arbeite, das ist ein bisschen ungewöhnlich. Wenn ich ein Buch übersetzen soll, gucke ich meistens nur kurz rein, ob mir das gefallen könnte. Aber ich lese das Buch zum ersten Mal, während ich es übersetze. Ich fange also an zu arbeiten, ohne dass ich das Buch wirklich kenne. Bei der Arbeit bin ich deswegen manchmal ein bisschen überrascht. In diesem Fall habe ich lange gedacht, es ginge in dem Buch darum, dass Snapdragon herausfindet, dass die vermeintliche Hexe im Wald in Wirklichkeit ein ganz normaler Mensch ist. Diese Frau ist vielleicht besonders und tut ungewöhnliche Dinge und deswegen machen die Leute aus ihr eine Hexe. Dass dann aber irgendwann herauskommt, dass sie tatsächlich eine Hexe ist, das war für mich eine große Überraschung. Für euch auch, hoffe ich? 

Q
Ja, für uns war das auch eine Überraschung. Welche Stelle fandest du denn am besten? 

A
Tatsächlich der Moment, als ich begriffen habe, dass die Hexe wirklich eine Hexe ist. Da war ich schon gespannt, was daraus wohl wird. Da hat mir der Aufbau der Geschichte wirklich gut gefallen. Man wird auf eine falsche Fährte gelockt und dann gibt es plötzlich so eine Wendung in der Geschichte. Das ist sehr unterhaltsam. Damit rechnet man nicht. Das fand ich toll. Mir hat allerdings auch sehr gut die Wiedervereinigung der beiden alten Liebhaber gefallen. Der Moment, als die Hexe Snapdragons Oma trifft, mit der sie vor vielen Jahren eine kurze Liebesgeschichte erlebt hat. Ich finde es toll, wenn so was Schönes passiert, ohne dass es kitschig wird.

Q
Wir dachten, dass die Hexe ein Mann ist. Warst du auch überrascht, dass es eine Frau ist? 

A
Nein, eher nicht. Sie sieht ein bisschen männlich aus, das schon. Das ist wahrscheinlich eine bewusste Entscheidung der Autorin, um ihre Außenseiterrolle zu illustrieren. Viele Menschen in der Geschichte finden die Hexe ja ein bisschen seltsam. Sie entspricht nicht dem klassischen Rollenbild, das wir traditionell früher von Mann und Frau hatten. Sie möchte ja zum Beispiel nicht unbedingt einen Mann als Partner haben. Aber ich war mir relativ sicher, dass es sich um eine Frau handelt.

Q
Wir hatten eine Diskussion darüber. Einer von uns hat gesagt, die hat doch kurze Haare. Aber Emma hat dann gesagt: Meine Oma hatte auch kurze Haare. 

A
Eben. Es gibt viele Frauen mit kurzen Haaren. Diese Frau entspricht bloß nicht dem Klischee. Sie ist unangepasst und verhält sich nicht so, wie andere Menschen es von ihr erwarten. Zum Beispiel bei ihrem ersten Auftritt: Nicht als schwarz gekleidete „Hexe“, sondern als normaler Mensch, ganz privat. Da trägt sie grüne Crocs, eine geblümte Hose und ein T-Shirt. Man ist überrascht und könnte denken: „Moment, was ist denn das? Eben war sie noch so unheimlich! Warum trägt sie jetzt so was?“ In der Logik der Geschichte hätte es auch sein können, dass das mit dem Geschlecht bei ihr nicht ganz so klar ist, wie das vielleicht bei anderen der Fall ist. Aber ich habe sie als eine „normale“ Frau gelesen – was auch immer das heißt. 

Q
Wir haben recherchiert über dich. Und dann haben wir gelesen, dass du auch mal in Hildesheim gelebt hast und da studiert hast. Wie war es denn in Hildesheim?

A
Hildesheim? Hildesheim war schrecklich! (Lacht) Ach, Hildesheim ist ein kleiner Ort in der Nähe von Hannover, wo ich herkomme. Ich habe in Hildesheim studiert und ein Studium ist eine sehr schöne Sache. Zumindest war es das für mich. Ich wollte nach der Schule gerne noch ein bisschen herumeiern. Studieren bedeutet ja auch, dass man sich noch nicht sofort für einen Job entscheiden muss, sondern dass man erst mal was ausprobiert, das einen vielleicht in die Richtung eines Jobs bringt. Klar, wenn man Medizin studiert, ist es relativ wahrscheinlich, dass man später Ärztin wird. Aber wenn man das studiert, was ich studiert habe, ist gar nichts klar. 

Q
Was hast du denn studiert? 

A
Studiert habe ich Kulturpädagogik. Und das ist ein Begriff, der sagt den wenigsten was. Manche sagen dann: Ach, Kunstlehrer! Das ist es aber nicht. Und genau wegen dieser Verwirrung wurde der Studiengang vor einigen Jahren umbenannt. Jetzt heißt er „Angewandte Kulturwissenschaften“. Im Studium haben wir viele Sachen gemacht, die mit Kunst zu tun haben. Wir haben Theater gespielt, Bilder gemalt, Fotos gemacht. Wir haben uns aber auch mit der Theorie beschäftigt, also mit dem Wissen über Schauspiel, Literatur, Fotografie und Bilder. Wir sollten eigentlich nicht selber Kunst machen, sondern wir sollten Verständnis haben für Menschen, die Kunst machen. Damit sollten wir besonders geeignet seien, anderen Menschen, die keine Kunst machen, Kunst nahezubringen. Sehr vereinfacht gesagt lernt man in meinem Studium Kunst so zu präsentieren, dass das Publikum sie möglichst gut aufnehmen kann. Das hat in gewisser Hinsicht natürlich auch mit meinem Beruf zu tun. Aber eigentlich ist das Übersetzen nichts, was man im Studium lernt. 

„Ich wurde von der Autorin auf eine falsche Fährte gelockt! Das finde ich sehr unterhaltsam.“

Q
Du machst aber auch noch andere Sachen, zum Beispiel Musik.

A
Das ist richtig. Durch Zufall, Glück und ein paar tolle Leute, die ich kennengelernt habe, kann ich in meinem Beruf auch Sachen miteinander verbinden, die eigentlich alle meine Hobbys sind. Ich mache ja Comiclesungen. Für diese Lesungen mache ich Musik und auf der Bühne kann ich meinen Wunsch ausleben zu schauspielern. Ich spreche dann mit anderen Stimmen, um die Figuren lebendig machen. Das macht sehr großen Spaß und ist ein toller Ausgleich zum Übersetzen, bei dem man ja einfach nur zu Hause sitzt und die ganze Zeit auf den Computer schaut. 

Q
Das können wir uns vorstellen. Aber wer sind die roten Dichter? Ist das eine Fußballmannschaft? 

A
„Der Klub der roten Dichter“ ist eine Sendung, die wir hier im Lokalfernsehen in Hannover machen. In der Sendung können Leute anrufen, um mit uns über Fußball zu reden. Wir sprechen vor allem über die Spiele der Fußballmannschaft Hannover 96. Die spielen gerade in der zweiten Liga, genau wie Hertha BSC. Diese Mannschaft hat einen Spitznamen. Sie werden „Die Roten“ genannt und oft spielen sie in roten Trikots. Für unsere Sendung haben wir bewusst einen etwas ironischen Titel gewählt, weil wir das Ganze nicht so ernst nehmen. Es gibt einen Film, der heißt „Der Klub der toten Dichter“. Da werden viele Dichter rezitiert, die gar nicht mehr leben. Und wir reden nun über Fußball und da geht es ja auch poetisch zu. Ich singe zum Beispiel in jeder Sendung ein Lied, das mit dem Spieltag zu tun hat. 

Q
Du gibst ja Comicfiguren deine Stimme. Als wir darüber gelesen haben, was das bedeutet, gab es ein schwieriges Wort. Das Wort war „Synchronsprecher“. Bist du auch Synchronsprecher? Und kannst du mal zeigen, wie das geht und wie das klingt?

A
Ich selber bin kein Synchronsprecher, habe allerdings schon für Netflix an einer Synchronfassung gearbeitet. Wenn man den deutschen Text für Zeichentrickserien schreibt, muss man darauf achten, dass es auch echt wirkt. Man sitzt also vor den Filmen und guckt ganz genau, wie sind die Lippenbewegungen von den Figuren, damit der Text dazu passt. Und auf meinen Comiclesungen, da habe ich Tricks für die Figuren. (Spricht heiser) Die Älteren haben weniger Luft. (Spricht hell und lispelt) Die Jüngeren lispeln ein bisschen, das klingt lustig und süß. (Spricht tief) Die großen Monster haben eine sehr tiefe Stimme. (Wieder in normaler Stimme) Dabei ist das Mikrofon hilfreich, man kann näher ran gehen oder weiter weg. (Spricht wieder tief) Also so hört sich das jedenfalls an, denn wenn Figuren miteinander sprechen. (Sehr hoch) Das stimmt doch gar nicht! (Sehr tief) Doch das stimmt.

Q
(Lacht) Ja, super! Vielen Dank. Kannst du mir vielleicht noch sagen, was dein Lieblingsessen ist?

A
Wir reden jetzt nicht von Süßigkeiten, nehme ich mal an. Ich esse tatsächlich sehr gerne Vietnamesisch. Die haben so eine Fischsoße. Salat mit Fischsoße und Glasnudeln: Das kann wirklich sehr lecker sein. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich das entdeckt habe. Aber das mag ich sehr, sehr gerne. 

Q
Und was für Musik machst du?

A
Was für Musik ich mache? So richtig geklärt ist es im klassischen Sinne noch nicht. Ich habe hier zum Beispiel ganz schlicht meine Klaviatur. Das ist kein richtiges Klavier, das sieht man daran, dass unten drunter der Unterbau fehlt. Das ist mit dem Computer verbunden. Und am Computer kann ich dann alle möglichen Arten von Musik machen. Für einen Kumpel, den Christopher Tauber, mache ich zum Beispiel Soundtracks. Ein Soundtrack, das ist die Musik, die bei einem Film im Hintergrund läuft. Ihr kennt ja bestimmt „Die drei???“. Davon gibt es seit einigen Jahren auch ein Comic, das von Christopher Tauber gezeichnet wird. Mit diesem Comic macht er auch Lesungen und dafür mache ich die Musik. Das ist elektronische Musik. Die kann ich mit allem möglichen Brimborium machen. Ich kann mit meiner Klaviatur und meinem Computer ein ganzes Orchester spielen. Aber für die Fußballsendungen und bei manchen meiner Lesungen muss es manchmal einfach nur eine Ukulele sein. Für lustige Lieder ist die am geeignetsten. 

Q
Emma kann auch ein bisschen Ukulele spielen.

A
Ja?! Die Ukulele ist toll. Ich bin wirklich begeistert von der Ukulele. Ich habe Klavierspielen gelernt und ich spiele auch ein kleines bisschen Gitarre. Die Gitarre ist für mich aber vergleichsweise schwierig. Und als ich die Ukulele bekommen habe, habe ich festgestellt: Oh, mit einem Finger kann ich ganz tolle Akkorde machen! Auf der Ukulele ist man ganz schnell schon fast ein Jazzgitarrist. Deswegen finde ich die Ukulele ein ganz tolles Instrument, um einfach erst mal auszuprobieren, sich selber ein bisschen zum Singen zu begleiten, ein bisschen zu spielen. Toll. Kann ich nur empfehlen: Mit Ukulele anfangen oder weitermachen! Sehr gut!

Q
Herzlichen Dank für deine Zeit. Es hat uns Spaß gemacht, mit dir zu reden.

A
Sehr gerne. Ich bedanke mich für euer Interesse. Ich bedanke mich für die Fragen und ich finde es toll, dass ihr das Buch gelesen habt. Das freut mich sehr.