Magazin
NAIRA ESTEVEZ : Das Beste von SpongeBob und Patrick
Die Journalistin und Autorin Naira Estevez nimmt die Dinge ernst. Ihre Arbeit beim queerfeministischen Missy Magazin ist für sie mehr Mission als Job, denn hier wird nicht weniger als gegen jede Form von Diskriminierung angeschrieben.
Dieser Kampf für eine bessere Welt macht aus Naira aber bestimmt keinen strengen Menschen. Im Gegenteil. Entspannt und aufgeschlossen begegnete sie im Interview den Schüler*innen der Stadtteilschule Horn. Die hatten sich gut vorbereitet und stellten der Autorin clevere Fragen zu ihrem antirassistischen Buch „Wo kommst du denn her?“. Aber auch mit der Frage nach dem Streber Spongebob und dem tiefentspannten Patrick Star trafen sie den Kern. Naira Estevez kann sich nämlich mit beiden identifizieren: Sie hat den zielstrebigen Fleiß vom Schwammkopf und die trödelige Gelassenheit des chilligsten Seesterns unterm Meer. Und fröhlich ist sie dabei auch noch. Beste Voraussetzungen für ein unterhaltsames Gespräch!
Wie kamst du auf die Idee, das Buch „Wo kommst du denn her?“ zu schreiben?
Die Idee kam eigentlich gar nicht direkt von mir, sondern vom Verlag. Es gab vorher schon ein Buch von Sonja Eismann, das heißt „Wie siehst du denn aus?“. In dem Buch geht es um Körpernormen. Weil es so erfolgreich war und es so viele Leute gelesen haben, hat der Verlag Sonja gefragt, ob sie noch ein Buch mit demselben Konzept machen möchte, in dem es um das Thema Herkunft geht. Sonja wollte das gerne machen und hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, mitzumachen. Die Idee zum Buch war also nicht meine, aber so ist es entstanden.
„Das Buch ist persönlich für mich, weil ich versucht habe, meine politische Haltung darin auszudrücken.“
Hast du Erfahrungen gehabt, die mit den Themen im Buch zu tun hatten?
Auf jeden Fall. Die Texte, die ich geschrieben habe, haben immer einen persönlichen Bezug. Da es ja Sachtexte sind, geht es da nicht direkt um unsere persönlichen Erfahrungen. Aber sie sind persönlich für mich, weil ich versucht habe, meine politische Haltung darin auszudrücken.
Andere Bücher haben ja meistens eine Geschichte. Ihr habt gewisse Situationen beschrieben. Aber eine Geschichte gibt es nicht. Warum habt ihr das so gemacht?
Missy Magazine und komme also aus dem journalistischen Bereich. Als Journalist*in berichtet man ja auch, was in der Realität passiert und ordnet das ein. Man kann Texte mit eigener Meinung schreiben und diese argumentieren. Und so ähnlich funktioniert das für mich in dem Buch „Wo kommst du denn her?“ auch.
Es gibt verschiedenen Kategorien von Büchern. Zum Beispiel solche, in denen ausgedachte Geschichten erzählt werden. Diese Kategorie nennt man Belletristik. Unser Buch gehört zu einer Sorte von Büchern, die sich Sachbuch nennt. Da geht es nicht um Geschichten, sondern um spezielle Themen, über die man als Leser*in mehr erfahren möchte. Solch ein Buch zu schreiben, war keine eigene Entscheidung, sondern die des Verlags. Der Vorgänger „Wie siehst du denn aus?“ war auch ein Sachbuch. Ich überlege jetzt mal laut, warum ich Sachbücher cool finde. Was ich daran mag, ist, dass es so direkt ist. Ich muss keine Geschichte erfinden, um bestimmte Dinge zu besprechen, sondern ich kann es direkt sagen. Sachbücher haben einen starken Bezug zur Realität. Ich finde das andere auch nicht schlecht, aber auf diese Weise zu schreiben ist mir vertrauter. Ich arbeite ja beimFindest du das Buch als Endprodukt spannend?
Das Endprodukt finde ich auf jeden Fall spannend. Was ich an dem Buch sehr gerne mag und was es auch besonders macht, ist, dass so viele Leute daran mitgearbeitet haben. Es ist ja schon mal eher ungewöhnlich, dass mehr als eine Person ein Buch schreibt und damit so unterschiedliche Texte zustande kommen. Vielleicht habt ihr aber auch gesehen, dass die Bilder in dem Buch von vier verschiedenen Illustrator*innen mit ganz unterschiedlichen Herkünften hergestellt wurden. Das haben wir so gemacht, um möglichst viele verschiedene Perspektiven einzubringen. In den Bildern werden persönlichen Erfahrungen verarbeitet. Man sieht Ausschnitte aus dem Leben der Illustrator*innen. Die Bildsprache ist dadurch sehr vielseitig geworden. Gut finde ich auch, dass die Bild- und die Textebene keinen direkten Bezug zueinander haben, wie das oft in fiktionalen Geschichten der Fall ist. Text und Bild sind unabhängig voneinander zu einem bestimmten Thema entstanden. Alle haben sich überlegt, was sie mit diesem Thema verbinden und das hatte natürlich nicht unbedingt damit zu tun, was wir uns beim Schreiben der Texte überlegt haben. Das macht es für mich interessant.
Denkst du, dein Buch erreicht viele Menschen bezüglich dieser Themen?
Ich hoffe es. Man könnte es daran messen, wie viele Bücher verkauft werden oder wie viele Leute es sich in der Bibliothek ausleihen. Oder man misst es daran, wie viel die Leser*innen damit anfangen können und ob sie es verstehen. Das habe ich den Verlag auch gefragt: Für wen schreiben wir das Buch? Wer ist die Zielgruppe? Wer soll es lesen? Mir war wichtig, dass das Buch nicht nur für weiße Jugendliche und Kinder ist, deren Eltern sie für das Thema sensibilisieren wollen. Das finde ich natürlich auch wichtig. Aber mir war es ein besonderes Anliegen, dass sich auch Menschen angesprochen fühlen, die nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft gehören, die andere Erfahrungen gemacht haben.
In deiner Kurzbiografie, die man auf Google findet, steht nichts über deine Nationalität oder das Land, aus dem du ursprünglich kommst. Aber es steht dort, dass du gerne italienisches Gebäck in Kaffee tunkst. Hast du das reingeschrieben, weil du die andere Frage nicht beantworten wolltest?
Das ist eine ziemlich gute Frage. Tatsächlich findet man in der Biografie meine Nationalität absichtlich nicht. Ich bekomme die Frage „Wo kommst du her?“ nicht so gerne gestellt. Zumindest nicht in bestimmten Situationen. Deswegen wollte ich diese Frage nicht automatisch beantworten. Weil das Buch aber von genau diesem Thema handelt, habe ich mir überlegt, wie ich meine Herkunft indirekt einfließen lassen kann, indem ich sie mit persönlichen Themen verknüpfe. Wieso stellt man eigentlich diese Frage? Vielleicht, weil man etwas über die andere Person erfahren möchte? Dann ist es doch eigentlich spannender, etwas über mich zu schreiben, was ich gerne mag und das mit meiner Herkunft zu tun hat. Das mit dem italienischen Gebäck ist ein kleiner Hint. Es gibt noch einen zweiten. Und zwar, dass ich Musik mag, bei der man mit dem Po wackelt. Den versteht man natürlich nicht, wenn man nicht weiß, woher meine Familie kommt. Euch erzähle ich gerne von meiner Herkunft. Ich bin hier in Deutschland geboren und zur Schule gegangen. Aber ein Teil meiner Familie kommt aus Süditalien, der andere aus Argentinien. Und dort hört man viel Reggaeton. Das ist lateinamerikanische Musik, die ich sehr gerne höre und zu der ich am liebsten tanze.
Hattest du Probleme, während du das Buch geschrieben hast?
Schreiben ist immer eine Herausforderung. Ich schreibe total gerne. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen es mir schwerfällt, mich zu motivieren, mich hinzusetzen und zu konzentrieren. Manchmal hatten Sonja und ich auch unterschiedliche Meinungen. Bevor wir angefangen haben, das Buch zu schrieben, haben wir die Themen aufgeteilt, jeweils an unseren Texten gearbeitet und sie später gegenseitig gelesen und unsere Meinung dazu gesagt. Da wurde dann gelegentlich diskutiert. Was ich auch manchmal herausfordernd finde, ist so zu schreiben, dass die Leser*innen es wirklich verstehen können. Ich bin mir manchmal unsicher, ob ich mich zu kompliziert ausdrücke oder Wörter benutze, die nicht so einfach zu verstehen sind. Deswegen haben wir auch entschieden, dass hinten im Buch ein Glossar sein soll, wo man Begriffe, die man noch nicht kennt, nachschlagen kann. Aber trotzdem kann es ja immer sein, dass Sachen zu kompliziert geschrieben sind. Wie war das denn für euch beim Lesen? Habt ihr alles verstanden?
Rafail: Ich bin 14 und ich hatte keine Probleme beim Lesen. Das Buch ist noch im Rahmen. Es war nicht einfach, es durchzulesen, aber ich musste mich nicht großartig anstrengen. Man kann sagen, es war nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht. Es war ausgeglichen.
Wie ging es den anderen?
Petra: Ich bin 14 und ich fand das Buch relativ leicht. Man hat alles verstanden und man konnte auch verstehen, worum es geht und was damit gemeint wird.
Das freut mich.
Gibt es Merch zu diesem Buch?
Nein, leider nicht. Hättet ihr Vorschläge?
Pullis und T-Shirts sind immer cool.
Was würdet ihr denn auf den Pullover drauf machen? Die Frage „Wo kommst du denn her?“ oder eine Illustration aus dem Buch?
Ich würde ein Bild aus dem Buch als großen Backprint nehmen.
Das schlage ich dem Verlag mal vor.
Wir haben noch ein paar Fragen zu dir persönlich. Die erste Frage musst du nicht beantworten. Aber wir würden gerne wissen: Was war dein größtes Unglück?
Lange Zeit hat es mich traurig gemacht, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, meine Familie in Argentinien kennenzulernen. Es war immer so teuer dahinzufliegen, dass wir uns das lange nicht leisten konnten. Als Kind habe ich das Gefühl, Familie in der Nähe zu haben, sehr vermisst. Da hat mich immer sehr traurig gemacht. Meine Familie in Italien kannte ich zwar, weil wir sie jedes Jahr im Sommer besucht habe, aber im Alltag waren sie nicht da. Es ist auch heute noch eine Herausforderung für mich, den Kontakt zu halten. Egal wo ich bin, fehlt immer ein Teil. Wenn ich hier bin, fehlen mir die Leute aus Argentinien und Italien. Wenn ich in Italien bin, fehlen mir die Leute aus Argentinien und Deutschland und wenn ich in Argentinien bin, fehlen die aus Italien und Deutschland. Damit klarzukommen, ist eine Herausforderung in meinem Leben. Aber mein größtes Unglück war eine andere Zeit in meinem Leben. Ich gehe jetzt auf die Gründe nicht tiefer ein, aber es gab mehrere Jahre, in denen ich depressiv war. Ich habe eine Therapie gemacht, war viele Jahre in der Psychoanalyse und das war keine einfache, sondern eine unglückliche Zeit. Aber jetzt geht es mir gut. Ich möchte das erzählen, weil ich es wichtig finde, dass über solche Sachen im Alltag normal gesprochen wird.
Und wo möchten Sie leben?
Wenn ich könnte, würde ich am liebsten das halbe Jahr in Europa leben und die andere Hälfte in Argentinien. Aber das ist nicht so einfach. Ich arbeite dran. Ich hoffe, dass es mir irgendwann gelingt. Dann würde ich im Sommer in Deutschland oder in Italien sein und wenn es hier kalt wird, nach Argentinien fahren. Wenn hier Winter ist, ist dort nämlich Sommer. Dann habe ich nie wieder Winter.
Batman oder Spiderman, was ist dein Lieblingscharakter?
Tja, das ist eine gute Frage. Also ich glaube, von den Skills her finde ich Spiderman cooler. Und von der Personality her finde ich Batman interessanter, weil er ja auch diese dunkle Seite hat.
Also, wenn du jetzt einen Charakter erstellen würdest, würdest du einfach die Personalität von Batman nehmen, aber die Fähigkeit von Spiderman?
Ja, genau.
Perfekt. SpongeBob oder Patrick?
Auch ein Mix auf jeden Fall. Ich liebe an Patrick, dass er so faul ist und so gut chillen kann. So bin ich nämlich auch. SpongeBob ist das genaue Gegenteil: der totale Streber. Und auch das bin ich! Man kann beides haben. Ich mag an SpongeBob natürlich auch, dass er immer so positiv ist. Ich glaube, ich kann mich nicht entscheiden. Sie sind beide super auf ihre Art. Ich finde gut, dass sie ein Team sind. Die passen gut zusammen.
Was ist Ihr Lieblingsvogel?
Mein Lieblingsvogel? Habe ich einen? (Überlegt) Vielleicht sage ich einfach Eule. Wir hatten hier mal im Innenhof eine Schlafgemeinschaft von Eulen. So heißt das nämlich. Die treffen sich nachts und schlafen zusammen in einem Baum, damit sie sich gegenseitig Bescheid sagen können, wenn es Probleme gibt.
Das ist ja süß.
Ich hätte an euch auch noch eine Frage. Mich würde interessieren, ob es noch irgendwas gibt, was ihr mir mitgeben wollt, falls ich mal ein neues Projekt mache. Vielleicht denkt ihr, dass etwas zu schwierig war, dass man etwas hätte anders machen können. Oder aber dass eine Sache besonders cool war und ihr davon gerne mehr gehabt hättet. Oder ihr fragt euch, warum ein bestimmtes Thema nicht vorgekommen ist. Irgendetwas in die Richtung. Fällt euch dazu etwas ein?
Petra: Ich fand die Texte in dem Buch sehr gut und verständlich und dass da wichtige Themen besprochen werden, von denen nicht jeder weiß. Mich haben viele Sachen überrascht. Das solltest du auf jeden Fall beibehalten.
Okay. Vielen Dank. Ich fand eure Fragen super. Das hat viel Spaß gemacht!