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Interview

NILS MOHL : Im Flow mit den guten Ideen

Von Scot, Jayden, Harun, Yesim und Sara Az

Eine gute Idee erkennt man daran, dass sie neue Ideen anzieht. Das sagt Nils Mohl und er muss es wissen. Seine Meisterschaft einer guten Idee zu folgen und aus ihr überraschende Schlüsse zu ziehen, wurde mit zahlreichen Preisen offiziell anerkannt. Glücklicherweise beschenkt er seine Leser*innen großzügig mit Kostproben seines energisch und fröhlich fließenden Fantasieflusses.

Im Kleinen zählen zu diesen milden Gaben zum Beispiel seine Montagsgedichte, die er zur Lockerung des ungemütlichen Wochenstarts zuverlässig und frisch in unsere Instagram-Feeds tupft. Im Großen sind es natürlich seine Bücher. Die „Wilde Radtour mit Velociraptorin“ ist geradezu ein Paradebeispiel für eine gute Beziehung zur schöpferischen Kraft: anarchisch, konsequent, überraschend und logisch. Das Bilder-Sach-Wimmel-Fahrrad-Dinobuch erschien 2023 und richtet sich an Kinder ab 4. Den 2022 erschienene Roman „Henny & Ponger“ schrieb Nils Mohl (wie alle seine Jugendromane) für den Teenager, der er selbst einmal war und freut sich, wenn auch andere Menschen in diesem Alter sich dafür begeistern. In dem Buch erzählt er eine Geschichte wie von einem anderen Stern. Vom Fremdsein und der dazugehörigen Sehnsucht nach Verbindung und Vertrautheit. Das Redaktionsteam "Trio" aus der Stadtteilschule Hamburg Horn hat sich mit dem Roman beschäftigt und traf den Hamburger Nils Mohl zum Interview.

Q
Für unser Literaturprojekt haben wir dein Buch „Henny & Ponger“ ausgewählt und wir würden dir gern inhaltliche Fragen zum Buch stellen und dich auch ein bisschen Persönliches fragen. Aber die persönlichen Fragen musst du nicht beantworten. Nur wenn du willst.

A
Ich bin gespannt. 

Q
Hast du eigentlich heute schon dein wöchentliches Montagsgedicht gepostet?

A
Ja. Ich versuche das immer gleich morgens am Montag zu machen, weil ich denke, viele fahren dann zur Arbeit oder zur Schule und haben das Handy schon in der Hand. 

„Eine gute Idee erkennt man daran, dass sie andere Ideen anzieht.“

Q
Wie bist du darauf gekommen, das Buch zu schreiben? 

A
Ich habe viele Ideen, aus denen ich gerne ein Buch machen würde. Aber nicht aus jeder Idee wird dann auch wirklich eins. Eine gute Idee erkennt man daran, dass sie andere Ideen anzieht. Die erste Idee zu „Henny und Ponger“ kam mir in einer Situation, die bestimmt jeder kennt: Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist und jemanden sieht, der einen interessiert, fängt man an, sich manchmal Gedanken darüber zu machen, wer diese Person ist, wo sie herkommt und wie es wäre, sie kennenzulernen usw. Aus dieser Beobachtung entstand die Idee, dass so doch eine gute Geschichte beginnen könnte. Und es kamen auch sofort neue Frage auf. Wie würde man zum Beispiel aufeinander aufmerksam werden? Ich dachte: Jetzt, wo immer alle ihre Smartphones in der Hand haben, könnte es auffällig sein, wenn zwei Personen lesen! Aber was lesen Sie für ein Buch? Vielleicht wäre es lustig, wenn sie beide dasselbe Buch lesen! So kam dann eine Frage zur nächsten. Bei vielen solcher Ideen verliert man dann irgendwann den Faden oder die Lust oder weiß nicht, wie es weitergehen soll. Aber bei „Henny und Ponger“ war es so, dass ich immer mehr wissen wollte. Ich habe mich selbst für die Geschichte interessiert. Und so ist dann nach und nach ein Roman draus geworden. 

ACHTUNG!

Uche, Abdullah, Roman, Raghad, Aliyah aus dem Redaktionsteam URA haben die Begegnung von Henny und Ponger nachgespielt.

Q
Wie lange hast du gebraucht, bis er fertig war? 

A
Ja, das ist eine Frage, die oft gestellt wird und die schwer zu beantworten ist. Die Arbeitsprozesse finden ja nicht alle nacheinander statt. Die Idee zum Buch hatte ich ungefähr vier Jahre, bevor der fertige Roman erschienen ist. Die Arbeit an einem Buch besteht immer aus drei Phasen. Die erste nennt man „Stoffentwicklung“. Man entwickelt die Ideen und denkt sich die Geschichte aus. Die zweite Phase ist das Schreiben und in der dritten Phase wird das Geschriebene korrigiert und die Veröffentlichung mit allem was dazugehört, vorbereitet. Dieser Prozess hat vier Jahre gedauert. Aber in diesen vier Jahren habe ich parallel auch an anderen Ideen gearbeitet.

Q
Hat das Buch was mit dir zu tun? 

A
Ja, das hat wahnsinnig viel mit mir zu tun. Und manches Mal begreife ich während des Schreibens noch gar nicht, was es mit mir genau zu tun hat. Es ist ja so: Alle Sachen, die ich aufschreibe, müssen vorher einmal in meinem Kopf gewesen sein. Der Kopf mischt das alles eigentlich nur einmal durch, sortiert und kombiniert es neu. Das ist das Tolle am Geschichtenschreiben: Manche Dinge entdeckt man selbst erst, wenn das Buch fertig ist und begreift dann, was sie mit einem zu tun haben.

Q
Wie bist du auf die Namen Henny und Ponger gekommen? 

A
Namen sind immer eine große Herausforderung. Ich möchte, dass die Leserinnen und Leser die Figuren kennenlernen, ohne vorbelastet zu sein. Wenn ich eine Figur Donald oder Wladimir nennen würde, hätte man heute sofort Vorstellungen im Kopf, gegen die ich als Schriftsteller anarbeiten muss. Deswegen suche ich eigentlich immer nach Namen, die nicht so geläufig sind und die damit weniger Erwartungen wecken. In diesem Fall – einer Geschichte über zwei Personen – habe ich nach einer Kombination gesucht, die gut klingt. So wie „Bernhard und Bianca“, „Romeo und Julia“ und so weiter. Und bei „Henny und Ponger“ hatte ich das Gefühl: Das klingt gut zusammen. 

„In Wirklichkeit schreibe ich für mich selbst und vielleicht auch für den Jugendlichen, der ich mal war. Er guckt mir immer über die Schulter.“

Q
Warum schreibst du Bücher für Jugendliche?

A
Ich schreib gar nicht unbedingt Bücher für Jugendliche. Ich freue mich natürlich, wenn Jugendliche meine Bücher lesen. Aber in Wirklichkeit – und das klingt immer etwas egoistisch, aber es ist so – schreibe ich die Bücher erst mal für mich selbst und vielleicht auch für den Jugendlichen, der ich mal gewesen bin. Er guckt mir auf jeden Fall immer über die Schulter. Manchmal überlege ich, was er wohl sagen würde zu den Geschichten, die ich erzähle. Ich hoffe natürlich, dass sie ihm gefallen. Für wen sollte ich sonst schreiben? Es ist doch fast unmöglich, sich vorzunehmen, für „die Jugendlichen“ zu schreiben. Alle sind so unterschiedlich: den einen interessiert dies und den anderen interessiert das. Wenn ich auf alles Rücksicht nehmen würde, dann hätte ich am Ende wohl nichts mehr, was ich erzählen könnte. 

Q
Und hast du als Jugendlicher gern gelesen? 

A
Es gab unterschiedliche Phasen. Es gab eine Phase, da habe ich außer der Bravo wenig gelesen. Dann bekam ich in der Schule Bücher in die Hand, die was mit mir gemacht haben. Und ich glaube, wenn man zur richtigen Zeit das richtige Buch in die Hand bekommt, dann wird man süchtig nach diesem Gefühl, das es auslöst. Das ist wie bei allen Dingen, die einem gefallen. Als Teenager habe ich gemerkt, dass das Lesen mich glücklich macht.

Q
Warum ist Ponger ein Mechaniker? 

A
Das hat damit zu tun, wie ich mir Figuren und Geschichten ausdenke. Es ist wahnsinnig schwer, von jungen Menschen zu erzählen, die arbeiten, denn meistens geht man ja, bis man ungefähr 18 ist in die Schule. Dadurch gehen viele Möglichkeiten für das Geschichtenerzählen verloren. Das finde ich schade. In diesem Fall war es mir wichtig, dass Ponger etwas kann, was nicht jeder kann. Er fühlt sich sehr einsam und versucht, durch sein spezielles Talent mit anderen in Kontakt zu kommen. Oder anders gesagt: Das Buch ist vielleicht auch eine Geschichte über das Geschichtenerzählen. Denn Ponger ist auch ein Geschichtenerzähler auf seine Art und Weise, der versucht, mit den Flipperautomaten, die er da repariert, jemanden anders zu erreichen. 

Q
Und wie kamst du auf Schwarzarbeit?

A
Ponger hat keine Papiere. Und er kennt seine Herkunft nicht. Er ist ein Fremder. Darüber wollte ich schreiben. Und es ist gar nicht so einfach, heute Geschichten über dieses Thema zu schreiben, ohne dabei jemanden anders auf die Füße zu treten. Es ist gut, dass wir viel vorsichtiger und sensibler sind im Umgang miteinander. Ich wollte gerne eine Geschichte über Menschen erzählen, die das Gefühl haben, dort, wo sie leben, nicht ganz angekommen zu sein. In diesem Land machen immer mehr Menschen die Erfahrung, nicht ganz willkommen zu sein, so wie sie sind. Das wollte ich thematisieren, aber ich wollte es nicht auf eine realistische Art und Weise erzählen. Ich wollte auch ein unterhaltsames Buch schreiben. Indem Henny und Ponger diese sehr exotische Herkunft haben, ist das möglich geworden. 

Q
Wir kommen aus Ghana, Gambia, Bulgarien und Deutschland. Aus welchem Land kommst du? 

A
Ich bin in Hamburg geboren. Mein Vater ist auch in Hamburg geboren, meine Mutter ist in Ostpreußen geboren. Das gibt es heute nicht mehr, das ist heute in Polen. 

Q
Also bis du halb Deutscher, halb Pole?

A
Das würde ich nicht sagen, weil Ostpreußen damals auch zu Deutschland gehörte. Aber tatsächlich ist meine Mutter auf der Flucht gewesen. Da denke ich manchmal darüber nach: Ihre Flucht war ganz anders als die der Menschen, die heute nach Deutschland kommen. Aber das Thema hat bis heute Einfluss auf meine Familiengeschichte. 

„Wenn man zur richtigen Zeit das richtige Buch in die Hand bekommt, dann wird man süchtig nach diesem Gefühl, das das Lesen auslöst.“

Q
Wo in Hamburg bis du denn aufgewachsen?

A
Ich bin Jenfeld aufgewachsen, also gar nicht weit entfernt von Horn. Ihr kennt vielleicht das Jenfelder Einkaufszentrum? Dort gibt es ein riesiges Hochhaus. Das ist die Gegend, in der ich aufgewachsen bin. 

Q
Hast du damals in deine Jugend Fußball gespielt? 

A
Ja, es gibt direkt am Einkaufszentrum einen Kleinfeld-Fußballplatz. Da habe ich eigentlich alle meine Nachmittage verbracht. 

Q
Hast du auch in einer Mannschaft gespielt?

A
Das durfte ich leider nicht. Ich bin als Kind an den Hüften operiert worden. Die Ärzte fanden immer, ich sollte das nicht machen. Also habe ich dann ohne Verein gespielt. Aber ich habe Handball gespielt. Heute heißt der Verein Concordia. Damals war es Wandsbek 81. 

Q
Hast du Frau und Kinder? 

A
Ja, ich hab drei Kinder. Die Jüngste ist 15. Die Mittlere ist 18 und macht gerade Abitur. Und der Älteste ist 20, studiert in den USA und spielt Basketball. 

Q
Und haben deine Kinder deine Bücher gelesen? 

A
Das ist ganz unterschiedlich. Meine Mittlere liest wahnsinnig gerne und sehr viel. Mit ihr zusammen habe ich sogar schon Lesung zu „Henny und Ponger“ gemacht. Mein Ältester nimmt sich nicht so viel Zeit zum Lesen. Ich weiß gar nicht, ob er das Buch gelesen hat. Ich glaube eher, dass meine Bücher für meine Kinder erst später richtig interessant sein werden, wenn die selbst Kinder haben. Oder wenn ich mal nicht mehr bin. Dann haben sie noch die Bücher und können gucken, was ich so gedacht und wie ich getickt habe. Lest ihr denn gerne?

„Mein Lieblingsbuch? Immer das nächste!“

Q
Also, um ehrlich zu sein, ich habe andere Beschäftigungen, die mir mehr Spaß machen. Lesen ist nicht so mein Ding. Aber es kommt immer auf das Buch an, wenn es spannend ist, lese ich es vielleicht gerne. Meistens lese ich aber Comics. Was ist denn dein Lieblingsbuch?

A
Das ist eine der ganz gefürchteten Fragen, die nämlich unmöglich zu beantworten ist. „Immer das nächste“, sage ich dann. Denn der Grund, weshalb man weiterliest, ist natürlich, dass man hofft, ein Buch in die Hand zukriegen, das einen wieder so glücklich macht wie die Bücher, die das bereits geschafft haben. Das passiert gar nicht so oft. Aber oft genug, dass es sich lohnt, weiter zu suchen. Es gibt so viele Bücher, die ich noch gerne lesen würde. Ich werde es niemals schaffen, die alle zu lesen. Auf der einen Seite ist das ein bisschen traurig. Aber andererseits ist es auch das Schöne am Lesen: Es wird nicht langweilig und es gibt immer wieder Neues zu entdecken, von dem man jetzt noch gar nicht weiß, was das wohl sein wird. 

Q
Warum hat dein Buch keine Seitenzahlen? 

A
Wenn meine Kinder lesen und ich sie frage, wie ihnen das Buch gefällt, dann kriege ich oft eine Antwort wie: „Ich bin auf Seite 73“. Ich finde diese Antwort lustig, denn danach habe ich ja eigentlich gar nicht gefragt. Aber natürlich sagt die Antwort ganz viel darüber, wie das Buch ist. Liest man ein Buch, das richtig toll ist und man kommt auf den letzten dreißig Seiten an, dann findet man es schade, dass es bald vorbei ist. Wenn ein Buch aber richtig schlecht ist und man hängt noch ganz am Anfang, denkt man sich: „Oh Gott, wie soll ich durch diese vielen Seiten kommen?“ Ich wollte gerne ein Buch schreiben, bei dem man das Gefühl hat, man kommt schnell voran. Deswegen sind die Kapitel so kurz. In der Herstellung des Buches, als wir also entschieden haben, wie das Buch aussehen soll, ist uns aufgefallen, dass mit den großen Kapitelnummern oben und den kleinen Seitenzahlen unten zu viele Zahlen auf den Seiten stehen. Und da man sich durch die kurzen Kapitel sowieso gut im Buch orientiert kann, haben wir entschieden, die Seitenzahlen einfach wegzulassen. Wir fanden das lustig.