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ROZETTE KATS & LUTZ VAN DIJK : Geerbte Erinnerungen
Der Krieg ist jeden Tag bei Rozette Kats, auch wenn sie erst drei Jahre alt war, als er beendet wurde. Sie überlebte die Shoah als Pflegekind in einer nichtjüdischen Familie, weil man ihr eine neue Identität gab und aus Rozette Rita wurde. Lutz van Dijk wurde erst 10 Jahre nach Kriegsende geboren. Doch auch ihn haben die eigenen und die geerbten Erinnerungen an Krieg und Nachkriegszeit tief geprägt.
Heute lebt der Pazifist, Pädagoge, Aktivist und Autor Lutz van Dijk in Südafrika und betreibt dort ein Waisenhaus. Rozette Kats, über 80 Jahre alt und dabei so unglaublich jung, reist unermüdlich durch Deutschland und die Niederlande, um vor Schüler*innen und Politiker*innen an ihre und damit die Geschichte von Millionen Menschen zu erinnern, die von den Nazis verleumdet, verfolgt, gequält und ermordet wurden. Das Schicksal hat Rozette Kats und Lutz van Dijk schon vor vielen Jahren zusammengeführt und zu Freund*innen gemacht. Sie passen wunderbar zusammen. Beide sind voller Sanftmut und Herzlichkeit und beide folgen ihrem Drang, junge Menschen über die Schrecken der Vergangenheit aufzuklären, um sie für das Heute zu sensibilisieren und ihre Empathie für andere Lebensweisen zu wecken. Diese Freundschaft kulminierte nun in der gemeinsamen Arbeit am Sachbilderbuch „Damals hieß ich Rita“, in dem Rozette die Geschichte ihrer Rettung und ihres Verlustes erzählt. Liliana, Nikita, Charlotte und Camila aus der sechsten Klasse der Waldgrundschule in Berlin trafen sich zum Videointerview mit Lutz van Dijk, der an seinem Schreibtisch in Kapstadt saß und mit Rozette Kats, die von Amsterdam aus Teil dieser Runde war. Ihr Gespräch beeindruckte durch seine Herzlichkeit und Offenheit. Sie schufen Verbindungen zwischen Generationen und Identitäten, Erinnerungen und Mitgefühl, Ängsten und Hoffnung.
Lutz van Dijk, wann und wo schreiben Sie Ihre Bücher?
Lutz van Dijk: Das „Wo?“ Ist ganz leicht zu beantworten: In meinem Büro. Das seht ihr hier im Hintergrund mit den ganzen Büchern, Fotos und Bildern. Was ihr aber nicht seht, das sind die Kinder. Ich lebe und arbeite nämlich in unserem Kinderhaus in Südafrika. Das zeige ich euch mal kurz. (Hält ein Foto in die Kamera) Seht ihr, wir sind eine sehr große Familie. Und das „wann“? Immer, wenn ich kann. Am liebsten am frühen Abend. Wenn die Kinder im Bett sind, ist es bei uns schön ruhig. Aber manchmal auch am Tag. Ich schreibe wirklich sehr, sehr gerne. Als Schüler habe ich das nicht gerne gemacht, weil ich immer so viel Fehler gemacht habe im Deutschen.
Das Buch ist ja eine Interviewsituation. Gab es die Situation wirklich? Gibt es diese sechs Kinder, denen Sie die Geschichte erzählen?
Rozette Kats: Vor elf Jahren habe ich Lutz und das Kinderhaus besucht. Das war 2013. Es ist schon lange her. Und plötzlich kam die Frage von den Kindern, ob sie meine Geschichte hören durften. Denn Lutz hatte ihnen erzählt, dass auch ich einen schweren Hintergrund habe, so wie sie.
Lutz van Dijk: Ihr wundert euch vielleicht, wie jemand so viele Kinder haben kann. Das sind nicht meine eigenen Kinder, sondern das sind Pflegekinder, die wir bei uns aufgenommen haben. In vielen Fällen, weil die Eltern an der Krankheit AIDS gestorben sind. Als ich ihnen sagte, dass auch Rozette ohne ihre eigenen Eltern aufgewachsen ist, haben sie mich gebeten, sie zu fragen, ob sie davon erzählen kann.
„Das war ein Ereignis, das ich in meinem Leben niemals vergessen werde.“
Lutz van Dijk: Darf ich euch auch was fragen?
Rozette Kats: Und das habe ich getan. Im Wohnzimmer saß ich in einem großen Sessel und die Kinder haben sich vor mich auf den Fußboden gesetzt. Und ich habe angefangen zu erzählen. Das war ein Ereignis, das ich in meinem Leben niemals vergessen werde. Lutz hat diese Situation für sein Buch als Inspiration genommen.
Ja.
Lutz van Dijk: Wie alt seid ihr?
Wir sind elf und zwölf.
Lutz van Dijk: Im Kinderhaus haben wir Kinder aus allen Altersgruppen. Wir haben Babys bei uns, wir haben Jugendliche und auch Kinder in eurem Alter. Auf eure Frage, ob die sechs Kinder im Buch, die drei Jungs und die drei Mädchen, ob es die wirklich gibt: Nein. Die habe ich mir ausgedacht. Ich wollte, dass es Jungen und Mädchen sind und dass sie verschiedene Hintergründe haben, verschiedene Muttersprachen, verschiedene Religionen. Diese sechs gibt es also nicht wirklich. Aber vielleicht gibt es sie doch wirklich und sie heißen nur anders.
Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt? Und wie kam es dann genau zu dem Buch?
Lutz van Dijk: Das ist eine tolle Geschichte. Als Rozette uns in Südafrika besuchen kam, vor elf Jahren, da wart ihr alle noch ganz kleine Babys. Oder vielleicht noch gar nicht geboren. So lange ist das schon her und wir kennen uns aber viel länger. Wir kennen uns schon seit bald vierzig Jahren. Die Hälfte meines Lebens bist du meine liebe Freundin, Rozette. Und der Hintergrund ist, dass ich im Anne-Frank-Haus gearbeitet habe. Kennt ihr den Namen des Mädchens? Anne Frank? (Alle bejahen) In diesem Haus, in dem sie sich versteckt hat, habe ich für sieben Jahre gearbeitet. Rozette kannte ich aber schon vorher. Als ich in Hamburg noch Lehrer war, hat sie uns besucht und vor der Schule gesprochen und Kindern ihre Geschichte erzählt. Und so sind wir Freunde geworden. Als ich dann umzog, von Hamburg nach Amsterdam, um im Anne-Frank-Haus zu arbeiten, da haben wir uns öfter getroffen, auch privat. Heute treffen wir uns immer noch regelmäßig und kochen – ich wollte gerade sagen „füreinander“, ich bin aber ein ganz schlechter Koch. Rozette kocht für uns beide. Und dann freuen wir uns, dass wir so gute Freunde sind. Aber Rozette, wie ist die Idee zum Buch entstanden? Da musst du was über den Deutschen Bundestag erzählen.
Rozette Kats: Letztes Jahr hatte ich die Ehre, im Bundestag eine kurze Rede zu halten und von meiner Geschichte zu erzählen. Lutz hat schon so viele Bücher publiziert. Und nach meiner Rede hat der Verlag (Peter Hammer Verlag, Anm. d. Redaktion) Kontakt zu Lutz aufgenommen und mit ihm über ein mögliches Buch gesprochen. So ist das entstanden. Ich brauchte nur ja zu sagen.
Lutz van Dijk: Ihr wisst, was der Bundestag ist? Den Bundestag sieht man manchmal im Fernsehen. Dort reden Politiker ganz lange, manche schön und manche langweilig. Aber Rozette hat nicht langweilig geredet. Sie hat am 27. Januar geredet und das ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Da müssen alle Abgeordneten im Bundestag ganz artig da sitzen und zuhören, wenn an das Verbrechen und das Unrecht, was unter Adolf Hitler passierte, erinnert wird. Was fällt euch zu dem Namen „Adolf Hitler“ ein?
„Der Krieg ist jeden Tag bei mir. Man erinnert sich, ohne zu denken.“
Krieg fällt mir dazu ein und Konzentrationslager.
Lutz van Dijk: Genau. Ins Konzentrationslager kamen Leute, die ihm nicht gepasst haben. Oder von denen er fand, dass das schlechte Leute sind. Die hat er eingesperrt und viele auch ermordet. Und das habt ihr von Anne Frank ja schon erfahren. Dazu gehörten jüdische Menschen, behinderte Menschen, Roma und Sinti, die man früher als Zigeuner bezeichnete oder homosexuelle Menschen. Ich bin ein homosexueller Mann. Ich wäre damals wahrscheinlich auch ermordet worden. Und an dieses Unrecht wird jedes Jahr am 27. Januar erinnert, das niemals wieder passieren soll. Dafür war Rozette im Bundestag.
Denken Sie, Rozette, oft an die Momente im Krieg? Macht es Sie sehr traurig, dass es damals so kam?
Rozette Kats: Ich bin während des Kriegs geboren und war erst drei Jahre alt, als der Krieg beendet wurde. Daher habe ich natürlich nicht so viel Erinnerungen daran. Könnt ihr euch an Vieles erinnern aus der Zeit vor eurem dritten Geburtstag?
Nein.
Rozette Kats: Nein, ich auch nicht. Aber dennoch ist der Krieg eigentlich jeden Tag bei mir. Ich denke jeden Tag daran, weil er mein ganzes Leben so beeinflusst hat. Es gibt viele Momente, in denen etwas in mir hochkommt. Manchmal nicht in Worten oder in Gedanken, sondern es ist viel mehr ein Gefühl. Oder ein Bewusstseinsmoment. Man erinnert sich, ohne zu denken. Vielleicht könnt ihr verstehen, was ich meine?
Ja.
Rozette Kats: Und so geht es mir jeden Tag. So ist das einfach.
Lutz van Dijk: Ich bin erst zehn Jahre nach dem Krieg geboren. Der Krieg war 1945 zu Ende. Und zehn Jahre später, also 1955, bin ich geboren. Ich habe also keine direkte Erinnerung an den Krieg. Aber zwei indirekte Erinnerungen möchte ich euch erzählen. Ich bin in Berlin geboren und in der Gegend, wo ich aufgewachsen bin, gab es damals ganz viele Ruinen. Daran muss ich heute denken, wenn ich im Fernsehen Bilder sehe aus dem Gazastreifen oder aus der Ukraine, wie normale, einfache Menschen mit nichts als einer Plastiktüte aus ihrer Wohnung fliehen müssen. Wenn ich mir das vorstelle! Ich finde das ganz furchtbar. Mein Bruder und ich haben in diesen Ruinen gespielt, so wie Kinder halt sind. Und manchmal ist uns was auf den Kopf gefallen. Dann haben unsere Eltern gesagt: „Ihr dürft da nicht spielen. Das ist gefährlich.“ Aber wir haben das trotzdem gemacht. Meine Mutter hat als junges Mädchen den Krieg sehr intensiv miterlebt. Sie ist vor vielen Jahren gestorben, aber solange sie gelebt hat, ist sie immer, wenn das Wort „Krieg“ auch nur erwähnt wurde, auf die Toilette gerannt und hat die Tür zugeschlossen. Da haben mein Bruder und ich gehört, wie sie geweint hat. Später hat sie uns erzählt, was alles Schlimmes im Krieg passiert ist. Zum Beispiel, wie sie sich mit ihrer Mutter bei Bombenalarm im Keller versteckt hat und das Haus über ihnen zusammengebrochen ist. Mich macht ganz traurig, wenn man heute den Fernseher einschaltet und jeden Tag die Kriegsnachrichten sieht.
„Deshalb bin ich Pazifist. Ich würde lieber ins Gefängnis gehen, als andere Menschen zu erschießen.“
Lutz van Dijk: Meine Freundin Rozette und ich gehören zu der Generation, in der wir sagen: Nie wieder Krieg. Wenn ihr Kinder euch streitet, sagen erwachsene Menschen: „Vertragt euch mal, kloppt euch nicht.“ Aber genau das machen die Erwachsenen selbst. Die nennen sich dann auch noch Präsidenten oder Minister und kloppen sich einfach. Sie wollen immer noch mehr Waffen, damit sie sich noch besser kloppen können. Und die einfachen Menschen müssen das erleiden. Solche, wie meine Mutter damals – oder noch schlimmer, wie Rozettes Eltern, die ermordet worden sind von den Nazis. Und deshalb bin ich bis heute Pazifist. Ein Pazifist ist jemand, der gegen Krieg ist und der nicht bereit ist, Soldat zu sein. Wenn Deutschland oder die Niederlande mich verpflichten würden, Soldat zu werden, würde ich lieber ins Gefängnis gehen. Ich würde aber nicht andere Menschen erschießen. Das ist jetzt ein bisschen sehr schwer, nicht wahr? Ihr guckt ganz ernst, aber ich wollte euch auf die ernste Frage nach dem Krieg auch ganz ehrlich antworten. Ist das okay?
Natürlich.
Lutz van Dijk: Darf ich euch noch das schönste und für mich lustigste Foto aus Rozettes Buch zeigen?
Ja, klar.
Lutz van Dijk: Bevor ich das mache. Darf ich euch fragen, welches Bild oder welche Zeichnung in dem Buch euch besonders angesprochen hat?
Dieses Bild hier finden wir sehr schön. (Zeigen das Bild von Rozette und ihrem kleinen Bruder.)
Rozette Kats: Das ist das Süße.
Lutz van Dijk: Warum findet ihr das so schön? Ich finde es auch schön.
Also, da sind Sie mit dem Baby, ihrem Pflegebruder. Das ist ganz schön süß, finden wir. Und dann gefällt uns noch das hier. (Zeigen das Bild mit den Enkelsöhnen)
Lutz van Dijk: Das ist auch mein Lieblingsbild. Ich finde es auch sehr lustig. Warum findet ihr das lustig?
Weil ihr glücklich seid. Und zusammen seid.
Rozette Kats: Das sind sie jetzt. (Zeigt ein Foto ihrer Enkelsöhne) Noch größer. Zwanzig und achtzehn sind sie schon.
Lutz van Dijk: Die wachsen immer weiter.
Rozette Kats: Ja, das geht von selbst.
Hier ist noch das letzte Bild, dass wir uns ausgesucht haben. (Zeigen das Schlussbild, in dem die Kinder Rozette umarmen.)
Rozette Kats: Das ist schön. Ja, das finde ich auch. Das ist eines der Besten.
Lutz van Dijk: Und warum findet ihr das so schön?
Auf dem Bild werden Sie umarmt. Da sind so viele Emotionen dabei. Glück. Trauer. Und die Kinder zeigen Mitgefühl für Sie.
Rozette Kats: Also das habt ihr auch mitfühlen können? Das ist sehr schön zu wissen. Darum geht es. Das wollten wir mit diesen schönen Zeichnungen erreichen.
Lutz van Dijk: Wie seid ihr eigentlich auf das Buch gekommen? Habt ihr das selber gefunden oder hat ein Lehrer euch das gezeigt? Oder kamen Frau Grau und Herr Kalbitzer mit der großen Tasche und haben es mitgebracht?
Ja, Christoph und Mia gehören zu unserem Projekt. Sie haben Bücher mitgebracht für unsere Klasse. Wir haben uns in Teams gefunden und uns das Buch ausgesucht, das uns am meisten gefallen hat. Wir haben Ihr Buch ausgewählt, weil wir die Geschichte schön und auch traurig fanden. Und weil es so ein wichtiges Thema ist.
Lutz van Dijk: Toll. Rozette, da haben wir Glück gehabt. Wir sind ausgewählt worden!
Rozette Kats: Absolut. Habt ihr keinen Moment gedacht: Das möchte ich nicht weiter lesen, es ist zu schlimm?
Na ja, als Sie erfahren haben, dass, Henk und Bep nicht Ihre leiblichen Eltern sind, das war schon sehr traurig. Und hier auch auf dieser Seite, das war hart. (Zeigt die Seite mit dem Zaun des KZs)
Rozette Kats: Aber ihr habt weitergemacht. Ihr habt trotzdem das ganze Buch gelesen?
Ja. Wir wollten wissen, wie die Geschichte weitergeht.
Rozette Kats: Das ist toll. Und wirklich wichtig für uns, das zu wissen.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem Pflegebruder?
Rozette Kats: Ja, sicher. Er kommt mich diese Woche noch besuchen. Wir sehen uns einmal pro Monat. Und wir lieben uns sehr. Wir sind sehr gute Freunde.
In Ihrer Geschichte kommt eine Kakaodose vor. Trinken Sie jetzt noch Kakao?
Rozette Kats: Ich nicht, aber ich habe noch immer die Dose. Und wenn meine Enkel zu mir kommen, dann serviere ich ihnen als Erstes einen Becher Milchschokolade.
Können Sie uns die Dose zeigen?
Rozette Kats: Natürlich. Hier: Da ist der Kakao drin.
Sie sieht ein bisschen anders aus, als im Buch.
Rozette Kats: Ja. Francis (Francis Kaiser ist die Illustratorin, Anm. d. Redaktion) hat die Dose nicht gesehen. Sie hat sie sich selbst ausdenken müssen. Wir haben keinen Kontakt gehabt, die Francis und ich.
Wie sind denn die Bilder entstanden? Hatte die Illustratorin Fotos?
Rozette Kats: Ich habe meine Geschichte schon oft in Schulen in Deutschland erzählt. Und dabei zeige ich immer große Abzüge von Fotos aus meiner Kindheit. Eigentlich sind das diese kleinen Bilder mit Wellenrand, wie ihr sie vielleicht aus ganz alten Fotoalben kennt. Und davon findet man viele Abbildungen im Internet. Denn überall wo ich hinkomme und von meiner Geschichte erzähle, macht man Fotos von mir.
Lutz van Dijk: Als Rozette uns damals in Südafrika besucht hat, hingen unsere Kinder an ihren Lippen. Sie waren so beeindruckt und konnten gar nicht aufhören zuzuhören. Deswegen habe ich gedacht, dass es schön wäre, wenn wir ein Kinderbuch machen würden. Nicht für Jugendliche, nicht für Erwachsene, sondern für Kinder wie euch. Und da ich nicht malen kann und Rozette vielleicht auch nicht so gut malen kann – ich weiß gar nicht, wie gut du malen kannst, Rozette?
Rozette Kats: Ich kann alles! (Alle lachen)
„Als Kind habe ich immer davon geträumt, dass ich aus Westberlin mal rauskomme und in die weite Welt hinausgehe.“
Lutz van Dijk: Wir haben also jemanden gesucht, der das für uns malt. Der erste Versuch war mit einem Mann, seine Vorschläge waren Zeichnungen wie aus Superman Comics. Das passte überhaupt nicht. Rozette ist zwar eine Superfrau, aber Superman ist sie nicht. Und dann kam Francis Kaiser. Als sie uns ihre Bilder gezeigt hat, haben wir beide sofort ja gesagt. Francis Zeichnungen sind wunderschön und realistisch, nicht wie Superman.
Schreiben Sie gerade an einem neuen Buch?
Lutz van Dijk: Ja, es ist gerade ein Buch fertig geworden. Das könnt ihr auch auf meiner Website angucken. Das wird ein Buch, das mir sehr am Herzen liegt. Es ist ein Buch über meine Kindheit und Jugend in Westberlin. Ihr wisst, damals gab es die Mauer und Westberlin und Ostberlin waren getrennt. Das Buch heißt „Irgendwann die weite Welt“. Warum? Weil ich als Kind immer davon geträumt habe, dass ich aus Westberlin mal rauskomme und ganz weit weg in die weite Welt hinausgehe. In meinem Kinderzimmer, das ich mit meinem Bruder geteilt habe, hingen Fotos aus Afrika und Amerika. Ich dachte, irgendwann, wenn ich groß bin, gucke ich mir die weite Welt an. Das hat funktioniert, heute lebe ich in Südafrika und davor habe ich viele schöne Jahre in Holland, in Amsterdam verbracht. Es ist ein großes Glück für mich, dass ich in verschiedenen Teilen der Welt zu Hause sein darf.
Frau Kats, werden Sie von Freunden oder Familie Rita oder Rozette genannt? Oder als wer fühlen Sie sich?
Rozette Kats: Ich bin und fühle mich als Rozette. In meiner Pflegefamilie bin ich immer Rita genannt worden. Erst 1989, da war ich schon über fünfzig, haben sie versucht, mich bei meinem richtigen Namen zu nennen. Aber das klappte nicht immer. Meine Pflegemutter nannte mich immer „Ri-äh-Rozette“. Und mein Pflegevater hatte so viel Angst, einen Fehler zu machen, dass er überhaupt keinen Namen mehr benutzte. Er sagte nur „Liebchen“ oder „Schatz“ oder „Mädchen“. Keinen Namen mehr. Bis er gestorben ist. Als Bep zwei Jahre später starb, hat sie mich bei meinem Namen genannt. Rozette. Ohne „Ri“. Nur Rozette. In dem Moment habe ich gefühlt, dass ich endlich heile wurde, so wie meine biologischen Eltern es gemeint hatten, als sie mich Rozette nannten. Seit 2001 bin ich also total, ganz und gar Rozette Kats. Und ich fühle mich auch so!
Lutz van Dijk: Für mich warst du schon immer Rozette.
Rozette Kats: In den Jahren davor hatte ich zwei Namen. Zu Hause war ich Rita oder Ri-äh-Rozette. Aber draußen in der Arbeit, bei meinen Freunden usw. war ich schon lange Rozette. Und Rozette war eine ganz andere Person als Rita. Das kann man sich kaum vorstellen, aber so etwas kann stattfinden. Man ist dann sehr verwirrt. Und erst seit 2001 ist das vorbei. Darum habe ich vorhin auch gesagt, dass mein ganzes Leben davon geprägt wurde. Und das ist der Grund, dass ich jeden Tag daran denken muss. Könnt ihr das verstehen?
„In dem Moment habe ich gefühlt, dass ich endlich heile wurde, so wie meine biologischen Eltern es gemeint hatten, als sie mich Rozette nannten.“
Ja, das können wir verstehen.
Rozette Kats: Okay.
Danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, dass wir Ihnen diese Fragen stellen konnten. Es war sehr schön.
Lutz van Dijk: Vielen Dank an euch. Es war schön, euch kennenzulernen. Ihr habt so tolle Fragen gestellt, dass wir in einem Gespräch miteinander waren. Und wer weiß, die Welt ist klein. Vielleicht sehen wir uns ja mal in echt.
Rozette Kats: Ich freue mich auch riesig. Es ist sehr schön, von solch interessierten jungen Menschen befragt zu werden. Vielen Dank.