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Bewertung der Redaktion
Zucker Zitrone
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Titel Der Sohn des Ursars
Autor*in Xavier-Laurent Petit
Das sagt der Klappentext

Ciprian ist der Sohn eine „Ursars“, eines Bärenbändigers. Die Roma-Familie fährt mit ihrem Bären durch Osteuropa und bestreitet dort mit Vorführungen ihren Lebensunterhalt. Von der Bevölkerung werden sie meist vertrieben und von der Polizei verfolgt. Als dann eines Tages ihr Auto kaputtgeht, wird der Familie von zwei windigen Männern angeboten,...

Ciprian ist der Sohn eine „Ursars“, eines Bärenbändigers. Die Roma-Familie fährt mit ihrem Bären durch Osteuropa und bestreitet dort mit Vorführungen ihren Lebensunterhalt. Von der Bevölkerung werden sie meist vertrieben und von der Polizei verfolgt. Als dann eines Tages ihr Auto kaputtgeht, wird der Familie von zwei windigen Männern angeboten, sie für viel Geld nach Paris zu bringen. Dort soll es Arbeit und ein besseres Leben geben.


Kaum im Pariser Slum angekommen, muss die Familie die Schulden für die Schleuser zurückzahlen, und so sucht sich jeder eine neue Arbeit: Daddu, der Bärenbändiger, wird Schrotthändler, Ma und Vera arbeiten als professionelle Bettler, Dimetriu, der große Bruder, wird „Ausleiher“ von fremden Geldbeuteln und Ciprian sein Lehrling. Bis zu dem Tag, als Ciprian im Park Schachspieler entdeckt und in den Bann dieses faszinierenden Spiels gezogen wird. Zwei der Schachspieler erkennen das große Talent, das in Ciprian schlummert und sein Leben nimmt eine unerwartete Wendung …

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Das sagt die Zucker & Zitrone Redaktion

Wer in einer Großstadt lebt, kennt die Menschen, die vor Bäckereien, Geldautomaten oder Kaufhäusern mit traurigen Augen die Hand ausstrecken. Die Frauen tragen viele Schichten weiter Kleider, oft halten sie ein Kind an der Hand. Die Männer gehen nicht selten am Krückstock und niemand weiß, ob ihr Humpeln echt oder...

Wer in einer Großstadt lebt, kennt die Menschen, die vor Bäckereien, Geldautomaten oder Kaufhäusern mit traurigen Augen die Hand ausstrecken. Die Frauen tragen viele Schichten weiter Kleider, oft halten sie ein Kind an der Hand. Die Männer gehen nicht selten am Krückstock und niemand weiß, ob ihr Humpeln echt oder vorgetäuscht ist. Die Vorbeieilenden begegnen diesen Menschen mit Argwohn und Mitleid und wissen nichts über sie, außer, dass dieses Bisschen reines Vorurteil ist.

Einen atemberaubenden Blick hinter diese Vorurteile wirft Xavier-Laurent Petit in seinem Roman „Der Sohn des Ursars“. Seine Geschichte, voller Menschlichkeit, Humor und Traurigkeit, holt eine Kultur vor unsren Augen ans Licht, die die Meisten von uns zur Unsichtbarkeit in den Schatten gedrängt haben.

Ciprian, ein junger Roma, wird mit seiner Familie von Schleppern nach Paris gebracht. Nun, hoch verschuldet, muss die Familie stehlen und betteln, um die Schergen mit Geld zu versorgen. Aus der Perspektive des Jungen – wie alt er genau ist, weiß er selbst nicht mit Sicherheit – scheint dieses Paris ein erstaunliches Konstrukt. Und so, wie er die Menschen beschreibt, denen er auf die eine oder andere Weise ein paar Euros aus den Taschen holt, zuckt man beim Lesen innerlich zusammen. Ja, so ist man oft genug selbst. Und aus Ciprians Perspektive ist das kalt und überheblich.

Dass Ciprian in einem Park Schachspieler*innen beobachtet, ist ein glücklicher Zufall. Das Spiel zieht ihn magisch an und bald entdecken Madame Walfisch und Herr Sehrdick – wie Ciprian sie nennt – sein außergewöhnliches Talent.

Natürlich ist Ciprian Talent ein absoluter Sonderfall. Und er bedeutet für die Familie Hoffnung auf einen Ausweg – hinaus aus dem Schattendasein und hinein in die Gesellschaft. Umso schmerzhafter wird dadurch deutlich, dass es schon so etwas wie Hochbegabung und Freunde in mächtigen Positionen braucht, um aus dem Teufelskreis aus Armut, Rassismus und schlechter Bildung hinauszukommen. Nur Ciprians Familie gelingt der Aufbruch. Unzählige bleiben zurück in den schlammigen Camps vor den Toren der Stadt. Eine gesellschaftliche Lösung, die das Leben für viele besser machen würde, ist nicht in Sicht.

Dieses Buch schafft Verständnis, sorgt für Aufmerksamkeit und sollte deswegen von so vielen Menschen wie möglich gelesen werden. Auch wenn es in Paris spielt und dort etwas andere Realitäten herrschen als hierzulande – auch in Deutschland leben viele Roma-Familien am Rande der Gesellschaft. Und auch hier sind Armut und schlechte Bildung ein fast unüberwindliches Hindernis.

„Der Sohn des Ursars“ ist nicht nur aus dieser Hinsicht ein lohnenswertes Buch. Es ist auch eine spannende Geschichte übers Loslassen und Ankommen, über Mut, Selbstbewusstsein und Emanzipation. Petit gelingt es, die Perspektive des Ich-Erzählers so einnehmend und glaubwürdig zu beschreiben, dass Ciprian schnell zur Identifikationsfigur wird. Man leidet und hofft mit ihm. Man trauert um seine Verluste und freut sich über seine Siege. Toll ist, wie Ciprian sich nicht nur in der neuen Umgebung zurechtfindet, sondern auch in der fremden Sprache. Lautmalerisch und kreativ nutzt er die Worte, die ihm zur Verfügung stehen, baut seinen Wortschatz immer weiter aus, wird selbstbewusster und wissbegieriger, ohne den Reichtum seiner eigenen kulturellen Identität zu verlieren.

Ein spannendes und Horizont erweiterndes Buch für alle ab 12. Unbedingt empfehlenswert.

 

- Mia Grau

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Metadaten
Knesebeck 240 Seiten ISBN 9783957285386 ab 12 Jahren Erscheinungsjahr: 2022 Übersetzung: Désirée Schneider

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