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Jenna hat es geschafft: Sie darf als eine von wenigen Privilegierten nach New Valley. Hier wurde EQUILON entwickelt, der Algorithmus, mit dem der von Armut und Klimawandel erschütterte Planet wieder bewohnbar gemacht werden soll. Doch diese glanzvolle Welt hat ihre Schattenseiten ...
Jenna hat es geschafft: Sie darf als eine von wenigen Privilegierten nach New Valley. Hier wurde EQUILON entwickelt, der Algorithmus, mit dem der von Armut und Klimawandel erschütterte Planet wieder bewohnbar gemacht werden soll. Doch diese glanzvolle Welt hat ihre Schattenseiten ...
Jenna hat, wie alle anderen Menschen aus den Grenzländern ihr ganzes Dasein darauf ausgerichtet, den „Score der 1 Milliarde“ zu knacken. Sie lebt in Old B, also vermutlich dem, was von Berlin nach dem großen Klimakollaps übrig geblieben ist. Die Umwelt ist zerstört, die Zivilisation steht an der Kippe zum...
Jenna hat, wie alle anderen Menschen aus den Grenzländern ihr ganzes Dasein darauf ausgerichtet, den „Score der 1 Milliarde“ zu knacken. Sie lebt in Old B, also vermutlich dem, was von Berlin nach dem großen Klimakollaps übrig geblieben ist. Die Umwelt ist zerstört, die Zivilisation steht an der Kippe zum Niedergang. Nur wenige leben auf Inseln der Glückseligen: Kleine autarke Enklaven, die sich mit Hilfe von Macht und Technologie ein Paradies geschaffen haben, in dem sie zur Rettung der Welt an einem Code namens „Equilon“ tüfteln. Equilon soll Gerechtigkeit bringen, das Klima retten, Frieden und Wohlstand für alle. Oder eher: Essen und besseres Wetter für alle. Bislang wählt Equilon aber hauptsächlich aus, wer sich von den Verdammten aus den Grenzländern genug abgerackert hat und außerdem schlau, fleißig, brav und emotional stabil genug ist, um in eines der Tech-Paradiese aufgenommen zu werden.
Jenna hat genau dies geschafft. Sie sitzt in einem hypermodernen Gefährt, das sie übers Meer nach New-Valley trägt, dorthin, wo Equilon erfunden wurde, zur Crème de la Crème der Menschheit. Das staubige, trostlose Old B lässt sie hinter sich und damit ihre Großeltern, ihre Freunde und ihre Heimat. Sie wird sie nie wieder sehen.
In ExCal, Old LA steht Dorian am Abgrund. Sein Score ist mies und sackt immer weiter ab. Dorian befürchtet sein Soll nicht zu erfüllen und aussortiert zu werden. Als Ausgestoßener in den Wastelands würde er sowieso nicht überleben, da will er sich lieber gleich das Leben nehmen. Aber selbst das kriegt er nicht hin. Stattdessen lernt er Maggie und ihre sterbenskranke Ziehmutter Martha kennen. Martha vertraut Dorian Maggie und einen geheimnisvollen „Schlüssel zur 1 Milliarde“ an. Er bekommt die Aufgabe, Maggie und den Schlüssel nach New Valley zu bringen.
Die dystopische Welt, die Sarah Raich in ihrem zweiten Roman beschreibt, scheint wie eine logische Konsequenz aus heutigen Zuständen. Die Ignoranz vor dem Klimawandel. Der Glaube, mit Technologie die Natur beherrschen zu können. Die gleichzeitige Vernetzung und Spaltung der Welt. Die diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen, die einen Aufstieg zu besseren Lebensumständen unmöglich macht für Menschen mit „falscher“ Hautfarbe oder „falschem“ Geschlecht, Alter, Charakter oder körperlichem und seelischem Zustand. Der Hyperkapitalismus, der die Menschen vereinzelt und Freundschaften, persönliche Gespräche und Vertraulichkeiten zur tödlichen Gefahr deformiert. Und dies betrifft nicht nur den unteren Rand der Gesellschaft. Auch das pseudo-emotionale, mit halblässigen Anglizismen gespickte Gelaber der Tech-Elite ist kalt bis ins Herz. Selbst in der Blase herrscht nichts als Angst und Einsamkeit.
Einzige Lichtblick in dieser lichtlosen Welt ist die kleine Maggie, die mit schwarzem Humor, Resilienz und emotionaler Aufrichtigkeit aus den übrigen Figuren heraussticht. Sie ist nach dem großen Kollaps geboren und erinnert sich nicht an die Welt von früher. Sie vermisst das Alte nicht und staunt über das Schöne, das übrig ist. Sie verkörpert die Hoffnung der Welt, den Grund, für den es sich lohnt, weiterleben und weiter zu kämpfen.
Es gelingt Sarah Raich eine spannende und aussagestarke Geschichte zu erzählen. Dies liegt vor allem am gut gewählten, klug durchdachten Setting, an der Dringlichkeit ihres Themas, am realistischen Grusel ihrer Dystopie und an geschickt gesetzten Überraschungen. Das menschliche Desaster allerdings gerät gelegentlich in leichte Schieflage. Es ist merkwürdig, wie schnell die toughe Jenna sich einerseits von ihrer alten Heimat lossagen kann und andererseits aus dem emotionalen Gleichgewicht gerät, sobald sie auf Irritationen stößt. Sie, die Codes knacken, rationale Entscheidungen treffen, sich hochkämpfen und durchbeißen kann, durchschaut das Spiel der Elite nicht, das für die Lesenden so offensichtlich ist. Die schwierige Aufgabe, die Wandlung eines hörigen Menschen zu einem eigenständig Denkenden zu beschreiben, wäre vielleicht noch überzeugender gelungen, wenn beim Lesen die Zuschreibungen von „Gut“ und „Böse“ weniger deutlich zu erkennen wären. Man hätte die Möglichkeit, stärker mit Jenna mitzufühlen, anstatt sie immer wieder als naiv und hysterisch abzutun. Ein nicht allzu bitterer Wermutstropfen, der das Lesevergnügen an „Equilon“ keinesfalls nachhaltig trübt, zu gut gelungen sind die monumentalen Beschreibungen einer möglichen und ausgesprochen düsteren Zukunft.
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