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Kazu weiß, dass etwas Seltsames vor sich geht, als er mitten in der Nacht ein Mädchen in einem weißen Kimono aus seinem Haus schleichen sieht – hat er geträumt? Hat er einen Geist gesehen? Die Dinge werden noch seltsamer, als er am nächsten Tag in die Schule kommt und genau...
Kazu weiß, dass etwas Seltsames vor sich geht, als er mitten in der Nacht ein Mädchen in einem weißen Kimono aus seinem Haus schleichen sieht – hat er geträumt? Hat er einen Geist gesehen? Die Dinge werden noch seltsamer, als er am nächsten Tag in die Schule kommt und genau dieselbe Gestalt in seinem Klassenzimmer sitzen sieht. Niemand sonst findet das seltsam, und obwohl Kazu sich nicht daran erinnern kann, sie jemals zuvor gesehen zu haben, scheinen alle davon überzeugt zu sein, dass das Geistermädchen Akari seit Jahren ihre Freundin ist!
Limbion Books ist ein junger Verlag, kaum ein Jahr alt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, aufregende internationale Bücher im deutschsprachigen Raum zu veröffentlichen. In Japan entdeckten Limbion Books den Roman „Sommer in der Tempelgasse“ der dort ungeheuer erfolgreichen Autorin Sachiko Kashiwaba. Das Original, in Japan viel gelesen, erschien...
Limbion Books ist ein junger Verlag, kaum ein Jahr alt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, aufregende internationale Bücher im deutschsprachigen Raum zu veröffentlichen. In Japan entdeckten Limbion Books den Roman „Sommer in der Tempelgasse“ der dort ungeheuer erfolgreichen Autorin Sachiko Kashiwaba. Das Original, in Japan viel gelesen, erschien bereits 2011. Nun also erreicht das schön illustrierte und sorgfältig übersetzte Buch Deutschland: ein echter Coup für den Verlag und eine ungewöhnliche Bereicherung für deutschsprachige Leser*innen.
Schon der Look des Buches ist anders, als das Meiste, dass auf dem hiesigen Kinderbuchmarkt gerade schick ist: Blassfarbig, mattgriffig und der Titel sitzt unscheinbar am rechten Buchrand von oben nach unten geschrieben.
Richtig ungewöhnlich aber ist erst die Geschichte, die Sachiko Kashiwaba zwischen diesen zurückhaltenden Buchdeckeln erzählt. Im Grunde sind es sogar zwei Geschichten, die sich überraschend ineinander schieben. Diese zwei Erzählungen sind seltsam, sanft befremdlich und ungeheuer fesselnd. Sie schweben anmutig zwischen spröder Alltagshandlung und mystischen Rätseln, die Realität leuchtet magisch.
Kazu begreift sich selbst als durchschnittliches Kind. Damit ist er eigentlich ganz zufrieden. Dass er in Wirklichkeit etwas Besonderes ist, zeigt sich auf unaufdringliche Weise erst im Laufe der Geschichte. Erstmal ist es nur ungewöhnlich, was ihm passiert.
Kazu lebt mit seiner Familie in einem riesigen alten Haus. Als ihm der nächtliche Weg zur Toilette zu lang erscheint, pinkelt er kurzerhand aus dem Fenster – und sieht im Hinterhof des Anwesens einen Geist erscheinen. Das Mädchen im weißen Kimono begegnet Kazu am nächsten Tag wieder. Akari ist seine Mitschülerin und Nachbarin. Kazu hat angeblich schon als Kind mit ihr gespielt. Das behaupten zumindest alle. Nur Kazu kann sich nicht daran erinnern. Als Einzigem fällt ihm auf, dass Akaris Haus vollkommen leer und ihre Mutter unsichtbar ist. Kazu beginnt, Nachforschungen anzustellen. Plötzlich interessieren sich eine Menge ältere Leute für ihn und versuchen, ihn von seinem Verdacht abzubringen, dass Akaris Erscheinen etwas mit dem Tempel der wiederkehrenden Leben zu tun hat, auf dessen Namen Kazu in alten Stadtplänen gestoßen ist. Ist Akari etwa eine Wiedergeborene? Und warum stiehlt die seltsame Frau Minakami den Buddha, das Herzstück des geheimnisvollen Tempels? Bringt sie damit Akaris Leben in Gefahr?
Zaghaft nähert sich Kazu seiner neuen Mitschülerin an, die ebenso verwirrt zu sein scheint, wie er selbst. Doch sie ist nicht nur verwirrt und verängstigt, sondern auch ungeheuer glücklich. Denn tatsächlich starb Akari vor vierzig Jahren an einer unheilbaren Krankheit. Nun genießt sie in vollen Zügen das Wunder des Lebens: Die Möglichkeit zur Schule zu gehen, statt nur im Bett zu liegen, ein Feuerwerk zu sehen, Bratnudeln zu essen, die Sonne im Gesicht zu spüren, das Meer zu sehen. An ihr altes Leben kann Akari sich nicht erinnern, nur an den dringenden Wunsch eine Geschichte mit dem Titel „Der Mond steht links“ zu Ende zu lesen. Diesen Wunsch will Kazu ihr erfüllen, seine Nachforschungen gehen also weiter. Er beginnt die Geschichte zu suchen und findet Unglaubliches heraus.
Dem tief empathischen Kazu und der glücklich-verwirrten Akari begegnen einer Reihe alter Damen, die sie mal widerwillig, mal hilfsbereit auf ihrer Suche nach Antworten weiterbringen. Vor allem die griesgrämige Frau Minakami spielt eine bedeutende Rolle. Sie behauptet, nichts in ihrem langen Leben zu bereuen und doch missgönnt sie den Wiedergeborenen eine zweite Lebenschance. Eisern hält sie am Leben fest und glaubt, immer im Recht zu sein. Doch nach und nach teilt sie ihre Geheimnisse und Sehnsüchte aus längst vergangenen Zeiten mit den Kindern. Sie hat die Macht, Akaris Leben zu beenden – und den Willen dazu. Doch Kazu bringt sie mit seiner Geradlinigkeit und Großmütigkeit ins Zweifeln und Wanken.
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei der Fortsetzungsroman „Der Mond steht links“, den Akari so dringlich zu Ende lesen möchte. Die märchenhafte Geschichte mit grimmschen Elementen von Hexen, Prinzen und wilden Räuberbanden mischt sich mit dem für westliche Gemüter rätselhaften Flair der japanischen Sagenwelt. Ein Mädchen wird versklavt und gezwungen, in einem eiskalten See nach einer Perle zu tauchen, die die Wiederkehr eines bösen Prinzen besiegeln soll. Leicht verzerrt, wie eine Spiegelung auf dem trüben Wasser des kalten Sees, wirft diese Märchengeschichte die Motive der Rahmenhandlung zurück. Wer hat das Recht auf eine zweite Chance? Was fangen wir an, mit der Zeit, die uns gegeben ist? Wie viel wiegt Freundschaft im Gegensatz zu Macht? Haben wir das Recht, über das Glück anderer zu bestimmen? Können wir uns trotz guter Absichten schuldig machen? Und wofür lohnt es sich zu leben?
Diese Fragen werden für lesende Kinder geschickt in der Handlung verpackt, ohne abschreckend oder überfordernd zu wirken. (Die vielen japanischen Namen sind die größere Herausforderung.) Die Spannung der beiden Erzählungen, die berührende Geschichte Akaris, Kazus Sorgen um seine neue Freundin, sein lustiger Schlagabtausch mit der alten Minakami, das alles fesselt über die kurzweilige Länge des Buches. Ganz nebenbei taucht man in die japanische Alltagswelt ein, die nach ganz anderen Regeln funktioniert als unsere, innerhalb derer die Menschen aber vertraut reagieren. Egal wo auf der Welt, das Wesen des Menschen, seine Suche nach Ordnung, Liebe und Glück, ist immer die gleiche.
- Mia Grau
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