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Geschichte wird lebendig, wenn man die Menschen dahinter versteht. Das gilt auch und gerade für den Nahost-Konflikt.
2023: Anat hat den Wehrdienst angetreten und trifft bei einer Übung im Westjordanland auf Karim, einen jungen Palästinenser. Beide sind wie gelähmt vor Angst, doch Karim bringt sie im Schutz der Dunkelheit zurück nach...
Geschichte wird lebendig, wenn man die Menschen dahinter versteht. Das gilt auch und gerade für den Nahost-Konflikt.
2023: Anat hat den Wehrdienst angetreten und trifft bei einer Übung im Westjordanland auf Karim, einen jungen Palästinenser. Beide sind wie gelähmt vor Angst, doch Karim bringt sie im Schutz der Dunkelheit zurück nach Jerusalem. Als er selbst bei einer Demonstration festgenommen wird, setzt sich Anats Mutter für ihn ein …
1947/1948: Tessa kommt als Halbwaise nach Palästina und begegnet in Jerusalem Mo, dessen Familie von dort vertrieben wurde. Sie freunden sich an, doch in den Kämpfen nach der Staatsgründung Israels trennen sich ihre Wege. Wird es ihren Enkeln gelingen, sich zu versöhnen?
Der renommierten Journalistin Anja Reumschüssel gelingt es ihn ihrem ersten Roman ebenso spannend wie kenntnisreich von der komplexen Geschichte Israels und seiner zwei Völker zu erzählen. In der Gegenwart verortet und doch mit Rückblicken bis zur Zeit der Staatsgründung versehen, entsteht hier ein differenziertes Bild des Nahost-Konfliktes, das Verständnis fördert und Hoffnung entstehen lässt.
Wer Anja Reumschüssels Lebenslauf auf ihrer Website liest, stößt schnell auf dieses eine Wort: Universalinteressiert. Da ist es wenig verwunderlich, dass die Wirtschaftsjournalistin zeitgeschichtliche Jugendromane schreibt oder Sachbücher über Klima- und Umweltschutz, Berufsfindung, Extremismus und Immigration. In ihrer Selbstbeschreibung zählt sie zunächst ihre Hobbys auf, gefolgt von den diversen Sprachen,...
Wer Anja Reumschüssels Lebenslauf auf ihrer Website liest, stößt schnell auf dieses eine Wort: Universalinteressiert. Da ist es wenig verwunderlich, dass die Wirtschaftsjournalistin zeitgeschichtliche Jugendromane schreibt oder Sachbücher über Klima- und Umweltschutz, Berufsfindung, Extremismus und Immigration. In ihrer Selbstbeschreibung zählt sie zunächst ihre Hobbys auf, gefolgt von den diversen Sprachen, die sie spricht, den Ländern, die sie bereist hat. Dazwischen erwähnt sie beiläufig ihre Ausbildung, ihre Ehrenämter, später die Preise, mit denen sie ausgezeichnet wurde. Für sie scheint das alles den gleichen Stellenwert zu haben. Und warum auch nicht? Das Leben besteht nicht nur aus Abschlüssen und Projekten, sondern aus einem komplexen Geflecht aus Entscheidungen und Zufällen und dem sich verknüpfenden Schicksal vieler Menschen.
In ihrem Debütroman „Über den Dächern von Jerusalem“ wird genau das herzzerreißend spürbar. Nicht nur erzählt Anja Reumschüssel einfühlsam die Geschichte zweier Familien – einer jüdischen und einer palästinensischen, sie erklärt dabei auch den komplexen Nahostkonflikt von seinen Anfängen bis zum heutigen Tag. Reumschüssel tut dies auf eine Art, dass man die weltgeschichtlichen Zusammenhänge ebenso versteht, wie die Stimmungen und treibenden Kräfte, welche die Bevölkerungsgruppen ergriffen und die Dynamiken angekurbelt haben. Mit der jungen Tessa erlebt man, wie alternativlos eine Staatsgründung für die jüdische Diaspora nach dem blanken Entsetzen des Holocausts war. Durch die Augen des gleichaltrigen Mos wird nachvollziehbar, was die Bevormundung der britischen Besatzung und die Ausrufung des israelischen Staates für die arabische Bevölkerung bedeutete. Die zunehmende Entfremdung, die Überhöhung und Entmenschlichung zwischen den Völkern, die weltpolitischen Ränkespiele, die Machtdemonstrationen und das gegenseitige Hochschaukeln in blanken Hass: All das wirkt so absurd und doch so erschreckend logisch, liest man Anja Reumschüssels Roman. Tessa und Mo freunden sich trotz dieser Widrigkeiten an, verlieren sich aber aus den Augen. Ihre Enkel Anat und Karim begegnen sich wieder. Sie sind Kinder ihrer Zeit, völlig verständnislos für die Sichtweise der „feindlichen“ Seite. Und doch sind sie, wie ihre Großeltern zuvor, mit Einfühlungsvermögen und einem offenen Herzen gesegnet. Sie begegnen sich schließlich als Menschen, nicht als Feinde. Wie schwierig es ist, Verständnis zu haben, Einsicht zu zeigen, Fragen zu stellen, Gerechtigkeit zu suchen, das wird an dieser Freundschaft sichtbar. Es gibt keine Lösung und doch gibt es Hoffnung.
Reumschüssels tiefes Interesse an der Welt und den vielfältigen Zusammenhängen menschlichen Lebens, ihr Bedürfnis hinter die Konflikte zu sehen, die streitenden Parteien zu verstehen und Vorurteile zu überwinden, lassen sich in ihrer „universalinteressierten“ Biografie erkennen. Ihr Werdegang hat sie offensichtlich zur Expertin des objektiv-subjektiven Blickes gemacht: Sie bemüht sich, so beschreibt sie es in ihrem Nachwort, ihre eigenen Denkmuster zu hinterfragen, gerecht, sachlich und sensibel zu bleiben. Eine Mammutaufgabe. Einen wertvolleren Beitrag zu Geschichtsverständnis, Völkerverständigung und Menschlichkeit als „Über den Dächern von Jerusalem“ zu schreiben, hätte Anja Reumschüssel kaum leisten können.
- Mia Grau
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