Bibliothek

Das Manga „Shunas Reise“ hat eine lange Reise hinter sich, ehe es seinen Weg in deutschsprachige Buchhandlungen fand. Der mittlerweile weltberühmt Zeichner und Filmemacher Hayao Miyazaki entwickelte die Idee zu „Shunas Reise“ in den frühen 80er Jahren zunächst als Entwurf für einen Animefilm. Doch seine Karriere als Trickfilmmeister hatte noch nicht seine Initialzündung erfahren, das Projekt kam nicht zustande. So wurde „Shunas Reise“ 1983 schließlich als Bildergeschichte veröffentlicht und seitdem in Japan erfolgreich verkauft. Eine internationale Rezeption des Buches blieb aus. Bis jetzt. Reprodukt hat das Manga in einer schönen Übersetzung von Nora Bierich und mit einem spannenden Nachwort von Animationsfilm-Spezialist Alex Dudok de Wit veröffentlicht. 

Die durchaus düstere und fremdartige Erzählung basiert auf einem tibetanischen Märchen. Ein Prinz macht sich auf goldenes Korn zu finden, um seinem Volk ein besseres Leben zu ermöglichen. Je weiter er sich von seiner Heimat entfernt, desto größere Not leiden die Menschen, denen er begegnet. Das Volk lebt in Angst und Armut. Menschenräuber treiben Handel mit rätselhaften Götterwesen. Statt selbst Korn anzubauen erhalten sie unfruchtbares Schrot im Tausch gegen versklavte Menschen. Shuna befreit zwei Mädchen aus der Sklaverei und betritt schließlich das verbotene Inselreich der Götterwesen. Er stiehlt fruchtbares Korn und wird zur Strafe seines Verstandes beraubt. Betäubt und sprachlos irrt er umher. So findet ihn Thea, eines der Mädchen, die er rettete. Sie versteckt ihn, kümmert sich um ihn und beginnt das Korn, das er gestohlen hat, zu kultivieren. 

In den Bildern Miyazakis scheint immer ein kräftiger, sauerstoffreicher Wind zu wehen, der den Atem hebt und den Blick in die Ferne fliegen lässt. Weit ist das Land und groß sind die Gefühle. Schwer und abenteuerlich ist das Leben der Held*innen. Rätselhaft sind die Gesetzte der Naturgötter, denen sie begegnen. So rätselhaft und wunderbar wie die Anime-Filme ist auch „Shunas Reise“. Viele Motive aus Miyazaki späteren Filmen sind in „Shunas Reise“ schon angedeutet: der Jakkul auf dem Shuna reitet, die Sklaventransporter mit ihren dicken Panzerungen, die gleichgültigen Götterwesen, die tatkräftige weibliche Heldenfigur, die mystische Reise, die seine gebeutelten Figuren durchstehen müssen ... 

„Shunas Reise“ ist ein Fest und ein Muss für alle Studio Ghibli Fans und für alle diejenigen, die es noch nicht sind, die Chance auf eine neue Liebe. 

- Mia Grau